Kennen Frauen ihre sexuellen Wünsche?

Kennen Frauen ihre sexuellen Wünsche?

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Alle sprechen über Sex. Aber kennen wir eigentlich unsere eigenen sexuellen Wünsche? Ein Gespräch mit Sexualberaterin Susanna-Sitari Rescio.

BRIGITTE: Glücklicherweise wird Frauen in unserer Gesellschaft eine eigene Sexualität zugesprochen. Kennen sie ihren Körper und ihre Erregbarkeit wirklich?

Susanna-Sitari Rescio: In meiner Erfahrung: Nein. Ich frage die Frauen in meiner Praxis oft, ob sie ihr Geschlecht zeichnen können. Das fällt vielen schwer, als wäre es ein fremdes Land. Außerdem wissen sie nicht, wie alles miteinander funktioniert und was bei sexueller Erregung passiert. Aufregung wird oft mit Erregung verwechselt.

Was ist der Unterschied zwischen Aufregung und Erregung?

Mit Aufregung meine ich emotionale Aufregung. Sie spielt sich im Solarplexus und im Herzbereich ab. Wir sind aufgeregt, weil wir mit jemandem zusammen sind, der uns gefällt. Jemanden, den wir lieben. Sexuelle Erregung bewirkt Veränderungen auf der physiologischen Ebene. Das Genital wird stärker durchblutet, es wird feucht und die Körperspannung steigt. Wenn ich meine Klientinnen frage, ob sie genau beschreiben können, was sich bei ihnen verändert, wenn sie erregt sind, sehe ich oft große Augen und Fragezeichen.

Warum wissen Frauen nicht, was sie erregt?

Meine Vermutung ist, dass ihr Geschlecht schon früh tabuisiert wird. Die verschiedenen Teile werden selten benannt. Dazu kommt, dass das weibliche Geschlecht versteckter ist als beim Mann. Aber der gesamte Bereich - außen und innen - will im Laufe des Lebens durch eigene Berührung erweckt werden.

Die Heilpraktikerin für Psychotherapie leitet das SoHam-Insitut in Hamburg, eine Heilpraxis für ganzheitliche Sexualtherapie. Sie berät Frauen, Männer und Paare zu Problemen und Fragen rund um Sexualität.

Das Problem ist also, dass Frauen sich zu wenig anfassen?

Viele Frauen berühren sich nur äußerlich oder sagen, dass sie innen nichts spüren. Ich erkläre ihnen dann, dass erst durch wiederholte Berührungen Rezeptoren aktiviert werden, die diese angenehmen Empfindungen auslösen. Auch Rezeptoren können in eine Art Winterschlaf fallen und brauchen liebevolle und achtsame Berührungen. Mit etwas Zeit können Frauen herausfinden, was sie erregt, wenn sie ihre Vaginalwände, ihren G-Punkt beziehungsweise ihren G-Bereich oder ihren Beckenboden berühren.

Können Vibratoren helfen, sich selber zu entdecken?

Bei Frauen, die sich selbst wenig anfassen, bin ich damit zurückhaltend. Auch ein Vibrator berührt, aber die Finger haben Augen - das heißt, sie sind sensibler und können mehr Informationen aufnehmen und weiterleiten. Aber natürlich kann man alles, was die Erregung unterstützt, zusätzlich benutzen. Also Vibratoren, Gel, Öl oder Dildos.

Kann man seine Wünsche auch beim Sex mit dem Partner entdecken?

Natürlich - wenn die Erwartung nicht zu groß ist. Denn jeder ist selbst für sich verantwortlich. Wenn ich in eine Begegnung gehe und erwarte, dass der Mann herausfindet, was mir gefällt, kommt es schnell zu einer Enttäuschung. Erst durch Selbstbefriedigung, ich nenne es lieber Selbstliebe, lerne ich mich kennen. Es gibt beispielsweise Frauen, die eine direkte Berührung der Klitoris gut finden, andere mögen das überhaupt nicht. Einige lieben Druck auf das Geschlecht, andere bevorzugen zarte Berührungen. Das ist höchst individuell.

Viele lassen sich durch Medien oder Pornos beeinflussen. Ist die weibliche Sexualität nicht durch männliche Wünsche geprägt?

Ich würde nicht von männlichen Vorstellungen sprechen, sondern von pornografischen. Das heißt natürlich nicht, dass Frauen nicht durch Pornos erregt werden können. Es gibt genug Studien, die das beweisen. Wichtig ist, sich von der Pornografie zu lösen und seinen eigenen Wünschen Raum zu geben. Was erregt mich? Welche Rituale, Szenarien und Fantasien gefallen mir? Damit sollten Frauen experimentieren. Das kann Sex im Freien, unter der Dusche, Kuschelsex oder Slow Sex sein. Ich empfehle Frauen, ihr eigenes sexuelles Profil zu entwickeln.

Um dann darüber reden zu können, oder?

Ja. Mein Eindruck ist, dass sich nur wenige Frauen - und Männer übrigens auch - trauen, darüber zu sprechen. Frauen suchen oft erst einmal die Bestätigung ihrer Attraktivität. Wenn der Partner sie begehrt, verwechseln sie das mit Erregung. Das reicht aber lange nicht aus, das ist noch keine genitale Befriedigung.

Sind Frauen zu sehr auf ihr Gegenüber fixiert?

Sie sollten auf jeden Fall sagen, was sie wollen. Wenn sie beispielsweise etwas länger brauchen, um erregt zu werden, noch nicht kommen können oder nicht direkt angefasst werden möchten - darüber sollte man sprechen. Viele brauchen auch eine emotionale Brücke, bevor sie sich öffnen können. Danach ist beispielsweise auch harter Sex möglich. Aber ich erlebe durch Erzählungen, dass viele Frauen einfach mitspielen. Denn schließlich können Frauen - anders als Männer - auch Sex haben, wenn sie nicht erregt sind. Wenn sie also nicht feucht genug sind, kein Pulsieren oder Kribbeln im Geschlecht spüren. Sie haben aber Angst, den Mann zu enttäuschen, wenn sie das sagen.

Welche typischen Probleme erleben Sie noch in Ihrer Praxis?

Die meisten Frauen klagen über Lustlosigkeit. Dann frage ich: Wenn Schokolade nicht schmecken würde, würden Sie sie dann immer wieder essen? Warum sollte es beim Sex anders sein. Wenn er keinen Spaß macht, ist es doch logisch, dass man kein Begehren entwickelt und irgendwann nicht mehr möchte. Ich frage in diesen Fällen genau nach, was während der Interaktion passiert. Dabei kommt oft die Unkenntnis über die eigene Erregung und mangelnde Kommunikation zum Vorschein.

Wäre noch das Thema Orgasmus. Was raten Sie Frauen, die gar nicht oder nur selten zum Höhepunkt kommen?

Sich damit zu beschäftigen. Natürlich ist ein Orgasmus kein Muss. Aber auf Dauer wird ein fehlender Orgasmus zur frustrierenden Erfahrung. Aber das muss nicht so bleiben, Sexualität ist ein Lernprozess. Es ist nicht so, dass wir nur in der Jugend lernen und danach alles vorbei ist. Unser Gehirn ist ein Leben lang lernfähig. Frauen mit Orgasmusproblemen sollten sich Zeit nehmen: achtsam, liebevoll und bewusst mit ihrem Körper umgehen. Tief atmen, den Körper und das Becken bewegen, sich unterschiedlich berühren, ausprobieren. Wer Hilfe braucht, kann auch gern einen Sexualtherapeuten fragen. Sexualität ist ein Geschenk, das man sich selbst gibt.

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