"Man kann gar Besseres nichts tun, als sich um sich selbst zu kümmern"

"Man kann gar Besseres nichts tun, als sich um sich selbst zu kümmern"

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Foto: Fräulein.Palindrom/photocase.de

Grace macht jahrzehntelang das, was von ihr erwartet wird: Sie heiratet, kriegt Kinder und lässt sich von ihrem Mann tyrannisieren. Als der in ein Pflegeheim kommt, "dachte sie, sie könne jetzt ein neues Leben beginnen", schreibt Bronnie Ware in ihrem Buch "5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen". Doch innerhalb weniger Monate wird Grace todkrank - und bittet Bronnie, ihre Pflegerin, "sich niemals von dem abbringen zu lassen, was du machen willst".

BRIGITTE: Warum verschieben so viele Menschen ihr Leben auf irgendwann?
Brigitte Roser: Der wichtigste Punkt heißt: geleugnete Endlichkeit. Wir wissen, dass wir sterben müssen. Aber nicht heute. Heute geht mich das nichts an.

Stimmt doch auch.
Ja. Aber wir sollten trotzdem immer mal wieder das Leben von hinten aufzäumen. Stellen Sie sich für einen Moment sich selbst in der Zukunft vor. Sie sitzen im Sessel, Sie sind 85 Jahre alt und schauen auf Ihr Leben zurück: Was wollen Sie dann sehen? Was soll da passiert sein? Der zweite Schritt ist, dann zu überlegen: Bin ich da eigentlich auf Kurs?

Oder sollte ich jetzt langsam doch mal mit dem Klavierspielen anfangen...
...oder einen neuen Partner suchen. Wir stellen uns meist aber ein Leben lang ruhig mit dem Satz: Ich kann das alles ja später noch machen.

Was gewinnen wir, wenn wir uns mit der Endlichkeit beschäftigen?
Wert. Die Kirschblüte in Japan versetzt deshalb die Nation in Euphorie, weil sie nicht über zwölf Wochen läuft, sondern eben nur ein paar Tage. Endlichkeit definiert die Kostbarkeit und den Wert dessen, was wir haben.

Gibt es auch falsche Lebens-Träume?
Doch, auch. Ich hatte mal einen Bankberater, der immer davon geschwärmt hat, dass er in Wahrheit Kinderbücher schreiben will. Wir haben das durchgespielt. Und die Hindernisse, Kinderbuchautor zu werden, waren so groß, dass er immer wieder dahin kam, dass das im Moment nicht geht. Und da mussten wir auch andersrum überlegen. Wenn es so viele Gründe gibt, die mir im Moment wichtiger sind...

...dann sind das vielleicht einfach verdammt gute Gründe?
Genau. Und dann geht es darum, sich damit wirklich anzufreunden. Ich sollte es lieben und ehren. Es gibt keinen Grund, dagegen anzurennen. Mein Lebensentwurf ist vielleicht nicht geeignet, den Pulitzerpreis zu gewinnen oder in der "Gala" aufzutauchen, aber ich hab's mir so ausgesucht. Das kann eine Riesenentlastung sein.

Wie kann ich jemand anderen unterstützen, der vor lauter Ausreden nicht zu seinem wahren Leben findet?
Der größte Freundschaftsdienst ist, Gespräche, die sich um Ausreden drehen, nicht zu oft zu führen: Bei allem Respekt und gerade weil ich dich so gern mag, lass uns dieses Gespräch nicht endlos wiederholen. Wenn du bereit bist, etwas zu tun, dann unterstütze ich dich gern. Aber ich will nicht mehr darüber reden, warum es nicht geht. Erstens langweilen wir uns dabei beide furchtbar. Zweitens hilft uns das keinen Schritt weiter.

Warum machen wir immer wieder Sachen, von denen wir eigentlich wissen, dass sie uns nicht wirklich guttun?
Eine Freundin hat mir mal den Begriff der radikalen Selbstfürsorge beigebracht: Ich nehme mich selbst jederzeit ernst und bin es wert, gemocht zu werden. Das tun leider nur die wenigsten Menschen. Meist, weil wir in der Kindheit verinnerlicht haben: Reiß dich zusammen.

Radikale Selbstfürsorge, das klingt aber auch sehr egoistisch.
Ist es aber nicht. Man sollte sich mal die Frage stellen: Was würde ich mir wünschen, das meine Kinder später mal über mich sagen? Wenn wir da wirklich überlegen, stellen wir fest, dass das größte Geschenk, das Eltern ihren Kindern machen können, neben der Liebe zu ihnen das eigene Glück ist. Man kann gar nichts Besseres tun für den Rest der Welt, als sich um sich selbst zu kümmern und dafür Sorge zu tragen, dass man glücklich ist. Dann muss niemand anderer mein Unglück ausbaden.

Brigitte Roser, 53,

ist Psychologin in Frankfurt und Autorin des BRIGITTE-Buchs "Das Ende der Ausreden" (352 S., 8,95 Euro, Diana Verlag)

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