Beziehung Die Beziehung geht immer vor

Beziehung Die Beziehung geht immer vor

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Es nützt nichts, die Probleme in einer Beziehung zu verdrängen - sie gehen immer vor, weiß Paartherapeut Oskar Holzberg.

Foto: halfdark/GettyImages

Herr P. und Frau M. - schon seit Jahren ein Paar, pubertierende Kinder, aber unverheiratet - spielen ihr übliches Spiel. Es heißt: "Wir tun so, als sei alles in Ordnung. Bis wieder alles in Ordnung ist." Sie decken den Tisch, organisieren den Tagesablauf der Kinder, aber sie sprechen nur das Notwendigste und schauen aneinander vorbei. Eiszeit.

Eine gründliche medizinische Untersuchung würde ergeben, dass ihr Blutdruck gestiegen, ihre Gefäße verhärtet und ihre Muskeln angespannt sind. Beide tun so, als könnten sie gut weiterleben, obwohl ihre Beziehung gerade eine fette Störung hat. Aber die Wahrheit ist: Sie können es nicht. Niemand kann das. Paar-Experten wie der Schweizer Psychotherapeut Professor Jürg Willi betonen immer wieder, dass nichts unser psychisches Wohlbefinden so beeinflusst wie der Zustand unserer Liebesbeziehung.

Auf die Frage "Wie läuft es denn in deiner Beziehung?" wissen wir sofort die Antwort. Als sei ein hochempfindliches Beziehungs-Barometer in uns eingebaut und das Display immer direkt vor unseren Augen. Sofern uns unser Liebster nicht gerade eine heiße Affäre verheimlicht, ist unsere Einschätzung präzise und verlässlich. Und selbst dann haben wir ja meist ein Unbehagen, das wir nur nicht richtig einzuordnen wissen. Als Partner schwingen wir in unseren Beziehungsgefühlen miteinander. Niemand ist total happy, während der Lebensabschnittspartner gerade den völligen Beziehungs-GAU durchlebt.

Nur scheinbar gibt es eine Gruppe von Menschen, die dies widerlegen. Ehemänner, die mit offenem Mund dastehen, wenn ihnen ihre Frauen erklären, dass sie sich unwiederbringlich trennen werden. Doch diese Männer, und manchmal auch Frauen, haben nur aufgehört, Signale zu beachten. In ihrer Sucht nach Harmonie und ihrer Konfliktscheu haben sie die Spannungen ausgeblendet. Ein emotionsloses Nebeneinander ist aber im Grunde das sicherste Anzeichen dafür, dass wir den Zustand der eigenen Beziehung skeptisch sehen sollten.

In der Gruppentherapie gibt es die Regel: "Störungen haben Vorrang." Sie soll besagen, dass sich die Gruppe erst wieder mit Themen beschäftigen kann, wenn alle Beziehungen so weit geklärt sind, dass niemand aus der Gruppe mehr einen aktuellen Gefühlskonflikt mit einem anderen Gruppenmitglied hat. Ein Paar ist wie eine spezielle Kleingruppe. Auch hier hat Vorrang, wie wir uns miteinander fühlen, denn es bestimmt unser gesamtes Verhalten - alles: die Wochenendplanung, den nächsten Einkauf, den Zoff mit den Kindern, das Treffen mit Freunden und den Job.

Foto: Ilona Habben

Wir sind eben keine Inseln. Obwohl unser gängiges Menschenbild behauptet, wir seien unabhängige Individuen. Es legt uns nahe zu versuchen, souverän zu reagieren. Und zu akzeptieren, wenn der Partner weniger Zeit mit uns verbringen will. Oder einfach mehr Sport zu machen, wenn Distanz und Unverständnis in der Beziehung zunehmen. Ja, wir können und sollten autonom in Beziehungen werden. Aber das bedeutet, IN der Beziehung unabhängig zu sein, nicht unabhängig VON der Beziehung. Selbständig sind wir nur, wenn wir unsere Gefühle ernst nehmen. Auch deshalb geht unsere Liebesbeziehung immer vor.

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