Beziehung In der Liebe lässt sich nur die Gegenwart klären

Beziehung In der Liebe lässt sich nur die Gegenwart klären

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Die Vergangenheit ist nicht star, sie verändert sich, je nachdem wie wir darauf schauen. Konflikte lassen sich aber nur in der Gegenwart klären, weiß Paartherapeut Oskar Holzberg.

Foto: Bildhuset/Plainpicture

Du wolltest dann unbedingt allein auf die Party gehen. Und warum? Weil du wusstest, dass diese Elin auch kommt. Und dann hast du natürlich nichts Besseres zu tun gehabt, als mit ihr rumzuknutschen!" Das ist Manuelas Version. "So war es überhaupt nicht! Du hast mich angeschrien, ich solle bloß abhauen, du wolltest mich nie wieder sehen. Und dann bin ich vor lauter Frust auf diese Party. Diese Elin hatte ich noch nie vorher gesehen." Das ist Stephans Version. Und es ist ungefähr das dreihundertsiebzehnte Mal, dass die beiden so darüber streiten.

Die Knutscherei mit Elin war für Stephan eine Frust-Reaktion. Und er findet, dass er seine Liebe zu Manuela bewiesen hat. Weil er eben nicht mit Elin ins Bett gegangen ist, sondern am selben Abend wieder in die gemeinsame Wohnung gekommen ist, um sich mit Manuela zu versöhnen. Für Manuela dagegen ist es ein verdammter Seitensprung. Diese Elin habe wohl nur keine Lust gehabt, sofort mit ihm in die Kiste zu springen. Und erfahren habe sie davon ja ohnehin erst über eine gemeinsame Freundin. Er habe es ja verschwiegen, um sich alle Optionen offen zu halten.

Jener Abend hat einen Riss in der Beziehung von Manuela und Stephan hinterlassen. Es ist notwendig, ihn zu kitten. Gemeinsam zu verstehen, was damals geschah. Zu begreifen, was in ihrer Beziehung schiefgelaufen war. Aber dorthin gelangen sie gar nicht. Weil sie verbissen darum kämpfen, was nun wirklich an diesem Abend geschehen sei.

Stephan versucht seine Liebe zu beweisen, Manuela ihren Verlust an Vertrauen. Doch in der Vergangenheit lässt sich das nicht klären. Wir nehmen immer unterschiedlich wahr. Und je häufiger wir darüber streiten, was geschehen ist, desto weiter werden unsere Versionen voneinander abweichen.

Erinnern ist nämlich kein passiver Prozess, als schauten wir uns ein altes Foto an. Erinnern ist ein aktiver Prozess. Durch jedes Erinnern verändern wir die Erinnerung. Wir formen sie ständig neu. Worum wir im Dauerstreit fighten, wird in jeder Runde nur noch eindeutiger für uns aussehen. Und der Kampf um die Erinnerung, um das "So war es doch gar nicht!" wird aus noch einem Grund so unerbittlich geführt. Wir sind darauf angewiesen, unseren Wahrnehmungen vertrauen zu können. Deshalb beharren wir so auf ihrer Richtigkeit.

Foto: Ilona Habben

Ein sich endlos wiederholender Zwist über die Vergangenheit zermürbt eine Beziehung. Denn das Paar übersieht das Wesentlichste: dass beide die Gefühle, um die sie in der Vergangenheit streiten, jetzt und hier in der Gegenwart zueinander haben. Stephans Liebesbezeugung und Manuelas Verletztheit sind im Streit gegenwärtig. Sobald sie von der Vergangenheit abließen, hätten sie eine Chance, einander wieder näher zu kommen. Er könnte sich endlich ihrem Schmerz stellen. Sie hätte die Chance, seine Zuwendung zu spüren. Sie könnten sich begegnen, sie wären wieder unterwegs.

Es geht letztlich nicht darum, dass unsere Version der Vergangenheit richtig ist. Es geht um die Gefühle, die wir hatten, und die, die wir haben. Schöne Erinnerungen können näher aneinanderrücken, schmerzhafte eine Distanz zwischen uns aufbauen. Aber all das geschieht immer in der Gegenwart.

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