Ich möchte mehr Abenteuer in meinem Leben

Ich möchte mehr Abenteuer in meinem Leben

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Früher war dauernd was los. Aber jetzt haben die Partyfreunde alle Kinder, und dann ist da ja auch noch der Job. BRIGITTE-Redakteurin Sonja Niemann fragt sich, wie in ihren Alltag wieder mehr Abenteuer kommen kann.

Wenn man jung ist, erlebt man alle naselang Abenteuer (jedenfalls hoffe ich das auch für die Kinder heute, trotz Helikopter-Eltern). Man lernt Fahrrad fahren. Springt das erste Mal vom Drei-Meter-Brett. Fährt das erste Mal auf die Ferienfreizeit nach Südtirol. Verknallt sich in - meinetwegen, sagen wir: Justin Bieber - und küsst später das allererste Mal in der Realität jemanden, der das Herz zum Flattern bringt. Alles ist neu. Alles ist aufregend. Das Leben ist ein einziges Abenteuer.

Und ich, ich stell in letzter Zeit verstärkt fest: Ich bin kein Kind mehr.

Als Erwachsener, festgesteckt in einer puscheligen, mehr oder weniger gut laufenden Alltagsroutine, wo nicht mehr ganz so viel neu und aufregend ist, klingt der ausgesprochene Satz "Ich würde gern mal wieder ein Abenteuer erleben" sofort undankbar. Die meisten assoziieren damit erst mal exakt drei Möglichkeiten:

1. den Job kündigen, im Kajak rund um Australien paddeln und doch noch die Farm in Afrika aufmachen; 2. Fallschirm springen; 3. neue Unterwäsche kaufen und sich in einer Seitensprung-Agentur anmelden. Alternativ dazu lässt sich der dramatisch klingende Abenteuer-Begriff natürlich auch noch so runterkochen, dass er in wirklich jeden bequemen Alltag passt: Wenn man bei Amazon nach Büchern zum Thema "Abenteuer" sucht, findet man jedenfalls nicht nur Jack London und "Robinson Crusoe", sondern auch "Abenteuer Mineralogie", "Abenteuer Softwarequalität", "Abenteuer Christsein" und "Abenteuer Kommunikation - neurolinguistisches Programmieren". So verzweifelt bin ich nun auch wieder nicht.

Aber kann ich mein durchaus schönes, ganz normales Leben behalten und trotzdem wieder merken, dass es mehr gibt als Routine? Zwischendurch öfter spüren, wie aufregend das Leben sein kann? Oder muss ich dafür zum BungeeJumpen oder Wildwasser-Raften?

"Sensation Seeking" ist der Fachausdruck für Abenteuerlust

Auf jeden Fall, das ergibt schon die erste Recherche bei Victoria Schönefeld, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Psychologie der Universität Duisburg-Essen, bin ich nicht allein mit meinem Wunsch. Und "Sensation Seeking", so der psychologische Fachausdruck für Abenteuerlust, beschränkt sich keineswegs nur darauf, rudimentär gesichert von Hochhäusern springen zu wollen: "Sensation Seeking hat sehr unterschiedliche Facetten, und es gibt auch verschiedene Typen von Sensation Seekern." Fünf dieser Typen hat Schönefeld identifiziert: 1. Jemand, der spontan und impulsiv ist und sich gern auf Dinge mit ungewissem Ausgang einlässt. 2. Jemand, der immer wieder Neues sehen und erfahren will, aber das lieber vorab plant, zum Beispiel als organisierte Reise an ferne, abenteuerliche Orte. 3. Der "konservative" Abenteurer, der immer wieder derselben, eher mäßig abenteuerlichen Tätigkeit nachgeht, wie beispielsweise Freizeitpark-Besuchen. 4. Der Adrenalinkick-Sucher, der prädestiniert ist für Extremsportarten. 5. All diejenigen, die einfach nur mal ein wenig Abwechslung im Leben haben wollen, also prinzipiell doch lieber mal auf eine Party oder ein Konzert gehen, anstatt immer nur auf dem heimischen Sofa zu sitzen. Die fünf Typen unterscheiden sich also deutlich im Grad ihrer Abenteuerlust. Geschätzt, so Victoria Schönefeld, fallen daher mehr als 80 Prozent aller Menschen unter zumindest eine dieser Kategorien.

Ich erkenne mich wieder als Typ 2, mit Elementen von Typ 1 und Typ 5. Das bedeutet wohl, dass ich am besten mal wieder Zeit und Geld für eine Fernreise bräuchte. Aber was tue ich bis dahin?

"Sie könnten eine Art Weltreise durch die eigene Stadt machen, zum Beispiel indem Sie immer wieder verschiedene Restaurants mit unterschiedlichen Länderküchen ausprobieren", rät Victoria Schönefeld. Klingt lecker. Aber noch nicht sooo spannend. Und was machen dann bloß all die Typ-2-Leute, die in einer Kleinstadt leben?

Vielleicht muss ich doch das größere Rad drehen und tatsächlich wegfahren. Aber für länger. Nach Indien und in ein Projekt einsteigen. Oder so.

Ist ein Sabbatical im Ausland eine Lösung?

Daniela Scholl ist Gründerin der "Auszeitagentur" in Frankfurt am Main ( www.auszeitagentur.de) und berät Menschen, die ein Sabbatical planen und sich noch nicht sicher sind, was sie mit dieser Zeit anfangen wollen oder wie sie ihren Wunsch umsetzen können. "Die meisten, die sich bei mir melden, wollen gern in ihrer Auszeit etwas Soziales machen", sagt Daniela Scholl. Und das gern in fernen, exotischen Ländern. Viele, die Frau Scholl in solche Projekte vermittelt, kommen tatsächlich glücklich und um etliche Erfahrungen reicher zurück. Aber das heißt nun nicht, dass es auch wirklich für jeden etwas ist, wie sie sagt: "Man kann mehrmals fragen: Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie in Indien oder Burma vielleicht nicht denselben Komfort haben wie zu Hause? Dass Sie vielleicht Kakerlaken in der Küche oder nur ein Loch statt eines Klos haben? Alle sagen dann: Ja, weiß ich doch, ist kein Problem. Aber in der Realität ist es dann doch etwas anderes." Und wenn der Hauptgrund für die Auszeit ist, dass man eigentlich nur aus einer Beziehung oder einem langweiligen Job raus will und seine ganzen ungelösten Probleme mit schleppt - "dann überfordert es einen oft, sich noch zusätzlich auf neue, schwierige Bedingungen einzustellen". Natürlich sei ein Sabbatical im Ausland eine wertvolle, oft intensive Erfahrung im Leben, sagt Daniela Scholl. Aber um das Leben als solches abenteuerlicher zu machen, tauge es nur begrenzt. Die meisten Leute würden riesige Erwartungen an ihre Auszeit knüpfen, zu riesige. Ganz so, als bestehe das Leben nur aus diesen paar Monaten, wo alles passieren muss, und danach kommt nichts mehr. "Sehen Sie, ich finde es gut, Menschen in Indien zu helfen. Aber was ich meine Kunden immer frage und worauf ich selten eine Antwort bekomme, ist: Warum helfen Sie nicht auch zu Hause Obdachlosen oder benachteiligten Kindern? Ich frage mich manchmal, ob das nicht das viel größere Abenteuer ist."

Etwas beschämt lege ich den Hörer auf. Vielleicht bleibe ich wohl doch erst mal in Hamburg.

Eine Kollegin empfiehlt mir, bei meiner Suche nach mehr Abenteuer Maduria Röper aufzusuchen ( www.maduria.de), die in Hamburg als Coach verschiedene Selbstfindungs-Seminare anbietet. Teilweise bekäme man da auch in den Fortgeschrittenen-Seminaren kleine Aufgaben, heißt es, die den Alltag aufregender machen. Klingt spannend. Ich besuche Maduria Röper in ihrer Praxis und komme direkt zur Sache.

Frau Röper, mal angenommen, ich bin, überspitzt gesagt, gerade von meinem Alltag etwas gelangweilt - was kann ich tun, um mich mehr zu spüren? Frau Röper nickt verständnisvoll und antwortet mir sehr geduldig. "Das Abenteuer ist, herauszufinden, wer Sie wirklich sind, was Sie vom Leben möchten. Und dann Ihre Begrenzungen kennen zu lernen, die Sie daran hindern, und schließlich darüber hinauszugehen."

Ja, einleuchtend. Aber auch etwas abstrakt. Wie kann ich das lernen? Gibt es konkrete Übungen? Frau Röper wiegelt lächelnd ab, aber ich insistiere. "Nun gut. Ich rate Ihnen das nicht wirklich, weil ich Sie nicht kenne, Sie nicht vorbereitet sind und es nicht nachhaltig wäre. Aber Abenteuer bedeutet, aus dem Alltagstrott auszusteigen und etwas zu machen, was nicht alltäglich ist. Wenn Sie also ein bisschen Aufregung im Leben haben wollen, könnten Sie sich ja - und dies ist nur ein willkürliches Beispiel - als Marktfrau verkleiden, einen Korb mit Obst und Gemüse sonntagmorgens mit zum Fischmarkt nehmen und dann versuchen, es dort zu verkaufen."

Selten laufe ich einfach los und schaue, was passiert

Wie bitte?! Warum in aller Welt sollte ich das tun, Frau Röper?? Als Mutprobe? "Sie können es Mutprobe nennen. Es ist, wie gesagt, nur ein Beispiel. Aber genau das meine ich. Sie denken jetzt schon, was Sie wahrscheinlich oft denken, wenn Sie etwas für Sie Ungewohntes machen sollen: Warum sollte ich das tun, was kann da passieren, was werden die anderen von mir denken, nein, das ist mir unangenehm." Ich gebe zu, dass sie damit nicht ganz unrecht hat. Oft analysiere ich. Selten laufe ich einfach los und schaue, was so passiert. Und das sei falsch, sagt Frau Röper: "Sie werden merken, dass viele dieser Begrenzungen, die Sie spüren, gar nicht real sind, sondern nur in Ihrem Kopf existieren."

Ich nehme von Maduria Röper mit, dass Abenteuer nicht bedeutet, möglichst viel zu erleben. Sondern Dinge intensiv zu erleben. Es muss ja trotzdem nicht unbedingt auf dem Hamburger Fischmarkt sein.

Ein letzter Anruf, bei Dr. Eva Wlodarek, als psychologische Psychotherapeutin, Coach und Autorin vieler Sachbücher immer eine gute Quelle für praxisnahe Ratschläge. Was Eva Wlodarek mir anbietet, ist folgende Übung: Ich soll mir sechs Dinge aufschreiben, die ich eigentlich schon längst gern machen wollte, aber noch nie getan habe. Keine großen Abenteuer, die schwer umsetzbar sind, sondern leichtere, die Größenordnung wäre etwa: einen Tangokurs buchen oder allein einen Städtetrip machen. Diese sechs Dinge werden durchnummeriert, dazu gehört ein Würfel. "Und dann treffen Sie eine Verabredung mit sich selbst: Sobald Sie gewürfelt haben, gehen Sie die Aufgabe, die der gewürfelten Zahl zugeordnet ist, sofort an, zumindest die Vorbereitung dazu. Sie werden sich vermutlich gut überlegen, was auf dieser Liste stehen soll. Nicht umsonst haben Sie ja diese Vorhaben bis jetzt noch nicht umgesetzt."

Eva Wlodarek plädiert zunächst für kleine Schritte, nicht den großen Sprung ins Abenteuer. Wenn man panische Angst vor etwas hat und sich wirklich überwinden muss, gibt es triftige Gründe, es zu lassen. "Aber falls Sie sich vor einer Aufgabe nur ein wenig mulmig fühlen, dann sollten Sie sie machen. Wenn wir über unseren Schatten springen, klopft das Herz schneller. Genau das gibt ein Gefühl von Abenteuer. Indem Sie sich diesen kleinen Mutproben so oft wie möglich stellen, haben Sie mit Sicherheit ein aufregenderes Leben."

Ein wenig Zeit ist nun seit meiner Recherche vergangen. Ich bin seitdem nicht Fallschirm gesprungen, habe kein Obst auf dem Fischmarkt verkauft und bin nicht nach Indien gegangen. Aber immerhin habe ich mich bei jemandem gemeldet, den ich schon längst mal wieder sehen wollte. Das war ein bisschen aufregend und schön. Ich habe im Kleinen gemerkt, wie oft das Abenteuer tatsächlich nur darin besteht, einfach mal zu machen, ob mit Würfel oder ohne. Und festzustellen, dass die Beschränkungen, die wir uns oft selbst setzen, keine realen Hürden sind. Was man allerdings erst merkt, wenn man sie überwindet.

Ich glaube, mehr als diese Art von Abenteuer kann mein Leben im Augenblick gar nicht verkraften.

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