Jedem Ende wohnt ein Anfang inne

Jedem Ende wohnt ein Anfang inne

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Manchmal muss man über das Ende einer Beziehung nachdenken, um einen neuen Anfang zu erleben, weiß der Paartherapeut Oskar Holzberg.

Foto: plainpicture/ Bastin

Das Leben ist paradox. "Wir wollten uns ernsthaft trennen!", sagt das Ehepaar S. strahlend, als es zu seiner nächsten Paartherapie-Sitzung kommt. "Ja", sagt sie, "ich hatte absolut keinen Bock mehr darauf, wie wir miteinander umgehen. Das mache ich nicht mehr mit!" - "Genau", fällt er ein, "und ich will mich nicht mehr alleingelassen fühlen." Seit das Thema Trennung auf dem Tisch ist, reden sie miteinander. Zum ersten Mal seit Jahren. Es ist kein ungewöhnlicher Prozess, dass ein Paar erst wieder zueinanderfindet, wenn es bis an die Trennung herangegangen ist.

Die Möglichkeit einer Trennung gibt unserer Beziehung neue Kraft

Ohne den Tod gäbe es kein Leben. Und ohne die Trennung keine Liebe, keine Bindung aneinander. Über der Verbindung zu unserem "Auserwählten" schwebt von der ersten Sekunde an die Trennung. Je mehr wir uns aufeinander einlassen, je mehr wir erlauben, füreinander zu bedeuten, je bereiter wir sind, uns abhängiger zu machen, desto größer wird bewusst oder unbewusst auch unsere Angst vor der Trennung.

Trennungsangst ist kein schönes Gefühl. Angst ist niemals angenehm. Wir verdrängen unsere Trennungsängste, so gut wir es können. Aber sie bleiben lebendig und zeigen sich in unseren Bindungsmustern. Die haben wir entwickelt, weil wir ja als Kinder mit ganz bedrohlichen Trennungsängsten umgehen mussten, sobald Mama nur aus der Tür ging. Wir klammern und lassen den anderen nicht aus unserer Kontrolle. Oder wir regulieren unbewusst unsere Abhängigkeit herunter und empfinden weniger für den Partner. Oder aber wir finden immer wieder Wege, uns der Liebe unseres Partners zu versichern. In jedem Fall aber halten wir die Möglichkeit einer Trennung weit von uns.

Dabei entgeht uns, dass es die Trennung ist, die unseren Beziehungen Kraft gibt. Angenommen, Beziehungen wären tatsächlich untrennbar und nicht nur unserer Überzeugung, unserem Glauben oder unserer Absicht nach: Wären wir dann gut zueinander, weil wir unumstößlich verbunden sind? Oder genau deswegen doch eher nachlässig, verletzend und im steten Machtkampf?

Dass Bindungen an bedeutsame Andere für uns als Kinder und als Erwachsene unser stärkstes psychisches Bedürfnis sind, hat einen Grund. Die Welt ist ein unsicherer Ort. Und die, bei denen wir Sicherheit suchen und finden, bleiben nur sicher, wenn wir immer wieder eine gute Beziehung zu ihnen herstellen.

Durch das ernsthafte Ansprechen der Trennung erreichen wir den Partner, der im Alltagsmodus unser Unglück nur als Teil der unendlichen gemeinsamen Konflikte abwehrt. Und sobald wir alles in Frage gestellt haben, ist das Gute, das uns aneinander bindet, wieder wahrnehmbar. Wie bei einem Gummiband, dessen Kraft am stärksten zu spüren ist, wenn es am weitesten gedehnt wird.

Foto: Ilona Habben

Wenn Frau S. beschließt: "So nicht mehr!", dann öffnet sie unbewusst die Möglichkeit, die lange verschlossen war. Dass es auch anders sein kann. Der Kreislauf der Angst ist durchbrochen. Denn in belasteten Beziehungen fürchten wir, dass auch der Partner an Trennung denkt und alles hinwerfen wird, sobald wir unsere Zweifel radikal äußern. Bedingung aber ist, dass wir nie leichtfertig mit Trennung drohen, wenn wir nur versuchen wollen, uns durchzusetzen.

Herrmann Hesse schreibt in seinem berühmten Gedicht: "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne." In Liebesbeziehungen wohnt jedem Ende der Zauber eines neuen Anfangs inne.

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