Kann man sich ernsthaft "gut" streiten?

Kann man sich ernsthaft "gut" streiten?

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BRIGITTE-Autorin Maja Schwaab lernt in ihrer Paartherapie, wie "schöner streiten" funktioniert. Theoretisch.

Wenn Daniel und ich streiten, ist vor allem eines klar: Am Ende werde ich heulend auf dem Sofa sitzen. Mich macht es nun mal fertig, wenn er mich harsch angeht und ins Extreme abgleitet: "Du denkst nie nach, bevor du etwas tust!" - "Dann lassen wir unser Kind am besten auch nicht impfen, wenn Medizin sowieso des Teufels ist!" - "Dir ist ja sowieso egal, wie ich mich bei alldem fühle!"

Ich habe also gedacht: Gut, wenn da mal ein Therapeut kommt und Daniel sagt, dass er mit all dem bitteschön aufhören solle, weil er sonst unsere Ehe zerstöre. Der Tacheles mit ihm redet. Diesen Gefallen machte mir unser Therapeut Peter allerdings nicht. Was er sagte, waren vernünftige Sätze wie diese: "Ständige Kritik ist nicht sehr hilfreich." - "Mir ist aufgefallen, dass ihr einander oft unterbrecht." - "Es sollte darum gehen, den anderen zu verstehen, statt darum zu kämpfen, wer Recht hat."

Nach einer unserer Sitzungen wiederholt Daniel diesen letzten Satz beinahe andächtig. "Peter hat Recht", sagt er. Ich freue mich über die Einsicht. Ich weiß mittlerweile aber auch: Erkenntnis geht schnell und fühlt sich gut an - die Umsetzung dagegen ist anstrengend. Das Prinzip Verstehen zum Beispiel klingt prima. Statt darum zu kämpfen, die Auseinandersetzung zu gewinnen, schaut man hinter die Wut des anderen: Was für ein Gefühl oder Wunsch versteckt sich dahinter? Darauf kann man leichter eingehen als auf eine Anfeindung. Nur fällt das hinter-die-Wut-schauen verdammt schwer, wenn man gerade selbst wütend ist. Buddhisten üben das ihr Leben lang.

Natürlich kriege auch ich das nicht von heute auf morgen hin - obwohl ich mir in den letzten Monaten wirklich Mühe gegeben habe. Ich habe gesagt: "Ich verstehe, dass dich das sauer macht". Oder: "Tut mir leid, dass ich das nicht besser hinbekommen habe." Oder: "Was kann ich denn beim nächsten Mal besser machen?" Wenn unsere Diskussionen abzugleiten drohen, versuche ich es mit Mäßigung: Zuhören, recht geben, beschwichtigen, zum eigentlichen Knackpunkt zurückkehren. Manchmal klappt das. Oft aber muss ich mich wahnsinnig zusammenreißen.

Zum Beispiel an diesem Abend im Frühjahr: Daniel war erstmals zehn Tage allein mit Mattis gewesen, und das ins-Bett-bringen hatte prima geklappt. Unser Sohn schien auch weniger häufig aufzuwachen. Daniel hatte sich deshalb eine Theorie zusammengebastelt: "Ich sage nicht, dass du etwas falsch machst, aber es ist offensichtlich, dass er bei dir Angst hat, allein im Bett zu sein und deshalb immer wieder aufwacht und nach dir ruft." Was ich daraufhin dachte: Hat der Typ ´ne Meise? Aufwachen in der Nacht hat fast immer mit Gewohnheiten zu tun, das liest und hört man doch überall! Was ich sagte: "Kann sein, dass du recht hast, auch wenn ich das anders sehe."

Das war eine der höchsten Stufen buddhistischen Zusammenreißens, die ich bislang erklommen hatte. Manchmal aber verliere ich meine Selbstdisziplin irgendwo zwischen Anschuldigungen und Vorwürfen. Dann rege mich einfach nur noch auf. Aber wie sagt nicht Peter: Streit ist okay. Er sollte nur nicht eskalieren - und er sollte nicht zum Dauerzustand werden. Aus den Büchern des Therapeuten-Gurus John Gottman weiß ich außerdem: Auch glückliche Paare streiten, manchmal sogar recht heftig. Aber sie finden Wege, mit dem Streit umzugehen: kühlen sich runter, reden später in Ruhe oder machen hinterher einfach einen Witz über die Meinungsverschiedenheit. Es sind die Paare auf Dauer unglücklich, die auch lange nach einem Streit immer noch sauer aufeinander sind.

Ehrlich gesagt: Ich könnte ja wunderbar ohne Streit auskommen. Mit meinem ersten langjährigen Freund etwa habe ich tatsächlich so gut wie nie gestritten. (Er ist mittlerweile Buddhist.) Streit schlägt mir auf den Magen. Und manchmal frage ich mich: Bin ich harmoniebedürftiges Wesen einfach mit dem falschen Mann zusammen? Andererseits: Würde ich nicht bei einem anderen Mann irgendetwas anderes finden, das mich stört? Ganz grundlegend ist da viel Liebe für Daniel in mir - deshalb muss ich wohl das Aushalten lernen. Nur muss es ein selbstbewusstes Aushalten sein. Es kann nicht darum gehen, einfach die Klappe zu halten und jegliches Draufhauen hinzunehmen. Wir müssen den Punkt finden, an dem schöne Erlebnisse und Zufriedenheit kleine und auch mal größere Streitigkeiten ausgleichen. Im Urlaub hatte ich neulich so ein Gefühl: Da haben wir uns auch gezofft - waren den Großteil der Zeit aber liebevoll zueinander. Wir haben dem anderen geholfen und Gefallen getan, uns abwechselnd um Mattis gekümmert und einander Ruhepausen gegönnt. Daniel war spürbar entspannter. Und als wir uns dann doch mal stritten, konnte ich das viel schneller verdauen. Jetzt müssen wir diese Balance nur noch im Alltag hinkriegen.

In sieben Folgen erzählt BRIGITTE-Autorin Maja Schwaab von ihrer Paartherapie. Im nächsten Teil: Warum nicht alle Tipps eines Therapeuten zwangsläufig helfen.

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