Er will nicht - also verlieb dich nicht in ihn

Er will nicht - also verlieb dich nicht in ihn

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Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wann es Zeit ist einzusehen, dass er nicht will, weiß BRIGITTE-Autorin Christiane Stella Bongertz.

Foto: nuvolanevicata/Shutterstock

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Ich erinnere mich da an einen Mann, nennen wir ihn Mr. Y (vom Y-Chromosom), mit dem ich nach einer vielwöchigen beidseitigen Werbungsphase endlich romantisch auf einer Parkbank bis zur seligsten Gefühlsduselei herumgeknutscht hatte. Als mein Unterbewusstsein bereits die Namen unserer zukünftigen Kinder aussuchte, fasste Mr. Y mich plötzlich an der Schulter: "Du, ich muss mal kurz unterbrechen." Ich erwiderte, leicht verwundert: "Hm?" Dann ließ Mr. Y die Bombe platzen: "Ich denke, es ist besser, wenn du dich jetzt nicht in mich verliebst."

Halten wir an dieser Stelle kurz inne. Recherchen im Freundinnenkreis haben ergeben, dass ich nicht die Einzige bin, die bereits mit diesem Satz aus Männermunde konfrontiert wurde. In den meisten Fällen war er nach intensiver Werbungsphase geäußert worden und hatte im mildesten Fall Verwirrung gestiftet, nicht selten aber blanke Verzweiflung verursacht. Dann nämlich, wenn die Sache mit dem Verlieben auf weiblicher Seite schon längst erledigt war - und das war sie meistens.

Ich meine, man stelle sich vor, man sitzt im Flugzeug und freut sich wie verrückt auf die Ferien. Die Maschine hebt ab, und eine Durchsage ertönt: "Guten Tag, hier spricht Rüdiger F., ich bin Ihr Flugkapitän. Ich möchte Ihnen von dieser Reise dringend abraten. Ich habe nämlich Flugangst und kann für nichts garantieren!" Jeder Passagier würde sich wundern: Wieso erfahre ich das erst jetzt, wo es zu spät zum Aussteigen ist?

Für Psychologin Stefanie Stahl, Autorin eines Ratgebers mit dem vielsagenden Titel "Jein!", ist der Fall sonnenklar: "Ein Mann, der einen Satz wie ,Besser, du verliebst dich nicht in mich!' formuliert, leidet unter Bindungsangst. Er schiebt die Verantwortung auf die Frau: Also sie soll sich nicht verlieben, weil er sich nicht entscheiden will. Auch nicht gegen sie. Er steckt in einem ,Jein!' fest." Schön und gut, er will sich also nicht festlegen. Aber wenn er doch Bindungsangst hat, wieso knüpft er dann erst die gefürchteten Bande? Und, nebenbei gefragt, was will er überhaupt?

Der Kerl will Sex - was denn sonst?

Evolutionsbiologen werden sich jetzt an die Stirn klatschen und rufen: Herrje, Mädels! Ist das denn so schwer zu verstehen? Das ist mal wieder typisch! Der Kerl will Sex, was denn sonst? Der Fortpflanzungsauftrag! Die Evolution! Richtig, da war ja noch was. Das Männchen soll seinen Samen streuen. Das Weibchen muss aufpassen, dass es von keinem Schuft bestäubt wird, der es mit der Frucht der Liebe - oder nun eben gerade Nicht-Liebe - sitzenlässt. Urzeitliche Verhaltensmuster, tief in den Genen eingegraben (und gut abgeschirmt vom Wissen um moderne Verhütungsmethoden und Unterhaltszahlungsmodalitäten).

Während wir Frauen dieser Theorie - und meiner Erfahrung - nach erst in die Vollen gehen, wenn wir uns einigermaßen sicher sind, dass es tatsächlich dieser und kein anderer Märchenprinz sein soll, können die Herren es sich leisten, sich erst mal probehalber einzulassen und sich ganz piano eine Meinung zu bilden. Der testende Mann hätte es natürlich am liebsten, wenn die Frau die Sache ähnlich unverbindlich sähe, er weiß ja noch nicht, wie sein Testergebnis letztlich ausgeht. Das kanalisiert er in der Aussage: "Verlieb dich bitte nicht."

Soziologen sprechen in so einem Fall von einem Konflikt aufgrund der unterschiedlichen "Interpunktion von Ereignisfolgen". Der berühmte Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick erklärte die akademisch verschwurbelte Begrifflichkeit gern an folgendem Beispiel: Die nach dem Zweiten Weltkrieg in England stationierten amerikanischen Soldaten waren der Ansicht, die jungen Britinnen seien Flittchen. Die britischen Mädchen hielten sich selbst für hochanständig, die Amerikaner hingegen für furchtbare Aufreißer. Dieser Widerspruch in der gegenseitigen Wahrnehmung hatte damit zu tun, dass es schon damals in England andere ungeschriebene Dating-Regeln gab als in den USA. In den USA küsst man sich schon bei einem der ersten Dates, anschließend passiert viele Treffen lang auch nicht viel mehr. In England küsst man sich spät, als Einleitung zum Sex. Es kam, wie es kommen musste: Die Amis knutschten wie gewohnt drauflos. Die überrumpelten Britinnen fühlten sich vor die Wahl gestellt, sich entweder hinzugeben (in ihrer gewohnten Reihenfolge kam der Sex ja direkt nach dem Kuss) oder dem Flegel ein für alle Mal eine zu scheuern. Nicht auszudenken, wie viele glückliche Partnerschaften durch ein reines Missverständnis vereitelt wurden.

Der Satz "Verlieb dich besser nicht in mich" ist aus so einer Perspektive vielleicht gar nicht so grundsätzlich bindungsängstlich, sondern eher eine Bitte um Aufschub. Ein unbeholfener Versuch, das Tempo anzugleichen. Der Mann ist wie die in die Enge getriebenen britischen Mädchen: Er will Zeit gewinnen, denn er ist noch nicht ganz so weit, so rein emotional gesehen.

Ist es wirklich Liebe - oder nur Eitelkeit?

Es gibt natürlich auch Männer, die werden nie so weit sein. Ob man an so einen geraten ist, zeigt sich in der kritischen Phase nach dem "Verlieb dich nicht"-Spruch. Die Jungs, die einfach noch Zeit brauchen, machen entweder bald Schluss oder entdecken ihre Liebe: ganz oder gar nicht. Die Bindungsunfähigen hingegen nehmen zwar gern weiterhin den Sex mit, machen aber auch nach Monaten noch keine gemeinsamen Pläne, gehen keine Kompromisse ein. Stattdessen führen sie rücksichtslos ihr Single-Dasein fort, mit allen Freiheiten. Da hilft eigentlich nur, ihn abzuschießen, bevor er schlimmeres Herzeleid anrichtet. Kann man trotzdem nicht von ihm lassen, ist kritische Selbstreflexion angesagt. Stefanie Stahl: "Da sollte man sich fragen, ob hinter dem Eroberungswillen nicht statt Liebe die Eitelkeit steht, diesen Typen unbedingt von sich überzeugen zu müssen." Wahrscheinlich habe ich instinktiv gespürt, dass noch nicht Hopfen und Malz verloren waren, damals, in der Situation mit Mr. Y. Soso, dachte ich jedenfalls eingeschnappt, wollen wir doch erst mal sehen, wer sich hier in wen verliebt und wer nicht. Dann zog ich mich zurück. "Hard to get" zu spielen klingt zugegebenermaßen nicht besonders emanzipiert, aber "Verlieb dich besser nicht . . ." ist, siehe oben, ja auch nicht gerade die Speerspitze der Evolution. Und es wirkte. Nach zehn Tagen Funkstille rief er an. Er müsse mich sehen. Er habe Angst gehabt, aber jetzt sei er sich über seine Gefühle klar geworden.

Was er nicht bedacht hatte: "Verlieb dich bitte nicht" hat, sofern keine psychischen Blockaden wie echte Bindungsangst vorliegen, ungefähr so viel Effekt wie der Satz "Denk nicht an den Kölner Dom". HypnoseTherapeuten wissen, dass das Unbewusste oft Probleme hat, das Wort "nicht" zu verstehen, weil es dazu kein Bild formen kann. Und was bleibt dann von unserem Satz? Richtig! So hatte Mr. Y also nicht nur nicht verhindert, dass ich mich verliebte. Er hatte, im Gegenteil, suggestiv sein eigenes Verlieben beschleunigt. Das hätte er natürlich auch einfacher haben können. Aber das lässt sich unseren Genen vermutlich schwer begreiflich machen.

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