Sie spricht über die Verstorbenen der anderen - Portrait einer Trauerrednerin

Sie spricht über die Verstorbenen der anderen - Portrait einer Trauerrednerin

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Wie kann man über einen Verstorbenen reden, den man nicht gekannt hat? Eva Maria Böbel ist Trauerrednerin und weiß, wie man eine Person würdigt, die man nie kennengelernt hat.

Die Trauer verströmt sich wie ein schwerer Duft im ganzen Raum. Sie legt sich auf die Kerzen, die Kränze und die Herbstblätter, die die Bestatterin um den Sarg dekoriert hat. Danach zieht sie in die Nasen und Augen der Menschen, die ordentlich in Stuhlreihen zusammensitzen. Die Haltung, die draußen an der Garderobe noch da war, ist weg. Eine ältere Frau vergräbt ihr Gesicht ins Taschentuch. Aus unterschiedlichen Richtungen beginnt das Schniefen, das Geräusch, wenn Tränen leise ausbrechen. Es ist eine Melodie der Traurigkeit.

Mit Schritten, die kaum zu hören sind, tritt eine Frau ans Rednerpult. Sie ist jung, 37 Jahre, sehr schlank, hat helle, grüne Augen und kurze, dunkle Haare. Sie schaut in die Gesichter der Menschen und wartet ein paar Sekunden. Dann erzählt sie von der Verstorbenen, von ihrer Kindheit, ihrer Flucht nach dem Krieg, der Heirat, den Kindern und Enkelkindern, ihrer Bescheidenheit und Unabhängigkeit. Eva Maria Böbel hat die Tote nicht gekannt. Sie ist Trauerrednerin.

Mehr Informationen über Eva Maria Böbel unter www.wenn-worte-fehlen.de.

Obwohl in den Augen ihrer Zuhörer immer noch Tränen stehen, lächelt sie. In ihrer Rede erinnert sie nicht nur an den Lebenslauf der Verstorbenen, sie erzählt auch Anekdoten. In diesen Momenten verwandelt sich das Schniefen der Angehörigen in ein kurzes Lachen. "Ja, so war unsere Schwester, Mutter, Oma oder Freundin", werden einige gedacht haben.

"Ich bin immer froh, wenn ich unter den Tränen ein Schmunzeln sehen kann. Trauer und schöne Erinnerungen gehen Hand in Hand. Wir würden einen Menschen nicht vermissen, wenn wir nicht die schönen Momente hätten, die uns verbinden", sagt Eva Maria Böbel. Wenn eine Trauerfeier vorbei ist, verabschiedet sie sich von den Gästen und tritt wieder aus deren Leben. Heute hat sie noch Zeit für ein Gespräch und ein Mittagessen im "Fritz-Café" auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. Es gibt Wildlachs und Kürbis-Tarte, durch die Fenster wärmt die Herbstsonne noch ein wenig. Ihre Zeit muss sie sich gut einteilen, sie arbeitet Teilzeit in der Kundenbetreuung eines Hamburger Verlages, redet auf vier bis acht Trauerfeiern im Monat und hat mit ihrem Mann zwei kleine Kinder. Trotzdem wirkt sie nicht gehetzt. Macht der Umgang mit dem Tod ihr bewusst, dass man die Zeit genießen sollte?

"Ich bin sehr ungeduldig", gibt sie zu. "Aber in diesem Punkt hat mir mein Beruf geholfen. Ich schöpfe sehr viel Demut daraus. Wenn es mir morgens mit meinen Kindern mal wieder zu langsam geht, denke ich an die Mutter, die ihre Kleinen zum Kindergarten gebracht hat und dann mit einem Herzinfarkt auf der Treppe zusammengebrochen ist. Ich frage mich immer wieder: Was ist eigentlich gerade wichtig?"

Jede Familie bringt andere Geschichten mit

Dass eine junge Mutter Trauerrednerin wird, ist ungewöhnlich. Die meisten ihrer Kollegen sind männlich und älter. Aber Eva Maria Böbel hat ein Vorbild, ihre Mutter Heidrun Baginski arbeitet seit fast 20 Jahren in diesem Beruf. Sie wurde deshalb schon früh gefragt, ob sie nicht auch als Rednerin arbeiten wolle, aber umgesetzt hat sie das erst vor zwei Jahren. "Ich finde, dass man eine gewisse Lebenserfahrung für diesen Beruf braucht", sagt sie.

Und wer bucht eine freie Trauerrednerin - Menschen, die nicht in der Kirche sind? "Das ist unterschiedlich. Darunter sind einige, die im Glauben keinen Halt finden. Aber auch solche, die ein christliches Gebet oder Lied einbauen möchten, aber mit den anderen Ritualen der Kirche nichts anfangen können."

Jede Trauerfeier ist vom Ablauf ähnlich und doch jedes Mal anders. "Am deutlichsten unterscheidet es sich in der Musikauswahl. Ich habe schon alles gehört: Helene Fischer, AC/DC oder Roger Whittaker. Aber ich habe nie zwei Mal dieselbe Musik bei einem Abschied gehabt."

Und jede Familie, zu der sie kommt, um über den Verstorbenen zu sprechen, bringt andere Geschichten mit. "Ich muss mich auf jede Konstellation neu einstellen. Zwei Töchter, die über ihre Mutter reden, sind sehr informativ. Aber auch schwierig, weil sie sich selten einig sind. Sitze ich mit einem Sohn und dem Witwer zusammen, muss ich öfter nachfragen. Generell erzählen Frauen mehr." Doch egal, mit wem sie zusammensitzt, ist ihr bewusst, dass sie eine Person nicht durch und durch erfassen kann. "Ich kann immer nur einen Ausschnitt wiedergeben. Mir geht es darum, Bilder zu erzeugen, die die Trauernden vereinen. Etwas, woran sie sich festhalten können", sagt sie. "Über jeden Menschen könnte man eine 600 Seiten Biografie schreiben. In einer Trauerrede kommt es auf die Leuchttürme an, die das Leben ausgemacht haben."

Ein Verstorbener hat es verdient, dass man ehrlich über ihn spricht

Und wie verpackt man die weniger guten Seiten eines Menschen in einen Leuchtturm? "Ich umschreibe so positiv wie möglich. Ich denke, ein Verstorbener hat es verdient, dass man ehrlich über ihn spricht. Aber diese Ehrlichkeit kann man auch in schöne Worte packen."

Stirbt ein Mensch unerwartet, verändert das ihre Arbeitsweise. Sie erzählt von einer Trauerrede für einen 20-jährigen Mann, der sich das Leben genommen hat. "In solchen Fällen stehen die Angehörigen unter Schock. Es ist ein verantwortungsvoller Beruf und ich möchte mit größter Sensibilität vorgehen. Ich habe ja kein Rezept, weil ich keine Therapeutin bin. Aber ich kann mich einfühlen." Auch bei dieser Rede hat sie versucht, die Höhen und Tiefen des jungen Mannes anzusprechen. "Ich denke, dass ein Mensch, der Suizid begangen hat, ebenso schöne Momente in seinem Leben hatte, an die man sich erinnern sollte."

Acht Trauerfeiern im Monat - überschattet so viel Traurigkeit nicht ihr eigenes Leben? "Ich habe zwei kleine Kinder. Das ist eine gute Ablenkung. Aber nein, es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass mir manche Schicksale nicht nahe gehen. Man muss einen guten Zugang zu sich selbst haben." Und jedes Mal wird sie mit der Frage konfrontiert: "Was soll von unserem Leben einmal bleiben?"

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