Muss ich mich dafür rechtfertigen, dass ich keine Kinder will?

Muss ich mich dafür rechtfertigen, dass ich keine Kinder will?

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Wenn Frauen freiwillig kinderlos sind, sind Nachfragen sicher. Die Autorin Sarah Diehl fragt sich, was für ein Bild dahintersteckt.

Foto: Agent Illustrateur/Corbis

Ich war Teenager, als ich das erste Mal den Film "Harry und Sally" gesehen habe. Eine Szene ist mir schon damals besonders im Gedächtnis geblieben, und nein, ich meine nicht die Episode im Restaurant ("Ich nehme das, was sie hatte" - Sie wissen schon). Ich meine die Szene, wo Sally, im Film dargestellt von der damals 27-jährigen Meg Ryan, mit ein paar Freundinnen um einen Kaffeetisch herumsitzt und alle Frauen darüber lamentieren, dass ihre biologische Uhr langsam anfangen würde zu ticken. Und dann erklären diese Frauen im Chor, dass es nun aber wirklich höchste Zeit wird, den passenden Mann für die Familiengründung zu finden.

Ich habe mich damals über die Szene geärgert und auch gewundert: darüber, dass keine einzige Frau aus dieser Runde irgendein anderes Lebenskonzept hatte. Ich selber war gerade dabei herauszufinden, wie ich mein Leben gestalten kann, das mir voller Freiräume und Möglichkeiten erschien. Aber im Fernsehen sah ich ständig nur Frauen, denen zwar angeblich alle Türen offen stehen, die aber in Wahrheit natürlich doch nichts anderes als Kind und Kegel wollen, denn das ist ja quasi ihre biologische Vorherbestimmung.

"Eine Frau möchte Mutter sein. Punkt."

Die Angst vor der Endlichkeit der eigenen Gebärfähigkeit war etwas, das alle diese Frauen einte, denn: Eine Frau möchte Mutter sein. Punkt. Heute bin ich Mitte 30, und ich höre die biologische Uhr immer noch nicht ticken. Wenn mir meine biologische Uhr im vergangenen Jahr überhaupt etwas gesagt hat, dann, dass ich im besten Alter bin, um ein Buch über gewollte Kinderlosigkeit zu schreiben.

Denn dass mein Stündchen angeblich geschlagen hat, darauf weist mich persönlich weder mein Körper noch meine Psyche hin, sondern einzig die Gesellschaft. Die aber dafür permanent und immer lauter. Ich begann also, mich und meine Freundinnen zu fragen, warum eigentlich Kinderlosigkeit bei Frauen als ein solches Schreckgespenst aufgebaut wird. Als Erstes stellte ich fest, wie groß der Redebedarf ist. Sobald ich auf einer Party erwähnte, dass ich gerade zum Thema gewollte Kinderlosigkeit recherchiere, wurde ich regelrecht belagert und mit Fragen oder persönlichen Geschichten bombardiert - und zwar nicht nur von Kinderlosen, sondern auch von vielen Müttern. Was beide gemein hatten: Sie waren es gleichermaßen leid, ihren Lebensentwurf gegenüber dem vorherrschenden Mutter-Ideal verteidigen zu müssen.

Die Mär vom Mutterinstinkt

Junge Frauen haben die gleichen Ausbildungschancen wie Männer, die gläserne Decke ist am Anfang der Karriere auch noch nicht zu sehen. Doch irgendwann, meist, wenn diese Frauen um die 30 sind, werden die Grenzen spürbar. Und natürlich hat der Kinderwunsch daran einen entscheidenden Anteil, wie viele Mütter, mit denen ich gesprochen habe, schnell gemerkt haben: Es gibt immer noch zu wenige Strukturen, um Erziehungsarbeit zwischen den Geschlechtern und Institutionen gerecht umzuverteilen. Nach wie vor wird von Frauen gerade in Deutschland erwartet, sich der Mutterrolle ganz hinzugeben, ihr zumindest eine Zeit lang oberste Priorität einzuräumen und andere Ziele weit hintenanzustellen. Mädchen und Frauen merken in unserer Gesellschaft daher früh, dass Kinderkriegen eine Abwägungssache ist: zwischen Autonomie einerseits und der Gefahr von jahrelanger Mehrfachbelastung und Selbstaufgabe andererseits. Kinderlosigkeit mag somit für manche Frauen tatsächlich eine Art Selbstschutz sein.

"Und plötzlich werden aus Frauen ohne Kinderwunsch Frauen mit Kinderwunsch"

Ohne Kinder kommen sie schließlich gar nicht erst in die Situation, Arbeitsbedingungen im Haushalt und bei der Kinderbetreuung hinnehmen zu müssen, die jede Gewerkschaft ablehnen würde. Tatsächlich haben mir einige meiner Interviewpartnerinnen erzählt, dass das Leben ohne Kinder für sie auch ein Weg ist, nicht ganz so viele Kompromisse in Arbeitsleben und Partnerschaft eingehen zu müssen. Aber, und das ist mir wichtig: Das heißt trotzdem nicht, dass nur die Rahmenbedingungen besser werden müssten, und plötzlich werden aus Frauen ohne Kinderwunsch Frauen mit Kinderwunsch. Manchmal haben Frauen nämlich schlichtweg andere Pläne für ihr Leben. Aber das verträgt sich natürlich nicht mit der Mär vom Mutterinstinkt, den Frauen natürlicherweise haben sollen. Und wenn sie dem nicht selbstlos nachkommen, gelten sie als selbstsüchtig, gefühlskalt und irgendwie nicht normal. Die "Natur" scheint dabei keine Freundin der Frau zu sein, denn sie wird rhetorisch immer gegen ihr Recht auf Entscheidungsfreiheit über ihr eigenes Leben in Stellung gebracht. In den letzten 50 Jahren hat sich in Deutschland viel getan, damit Frauen ein selbstbestimmteres Leben führen können.

Zum einen sind sie nicht mehr zwangsläufig finanziell abhängig von einem Ehemann, zum anderen haben sie aufgrund sicherer Verhütungsmethoden und der Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs die Kontrolle über ihre Fortpflanzung erlangt. Vielleicht werden den freiwillig kinderlosen Frauen auch deshalb die angeblich tickenden Uhren vorgehalten: Wenn man ihnen schon keine sonstigen Anreize schaffen kann, will man ihnen nun Angst machen, dass sie aufgrund ihrer "Natur" psychologische Schäden erleiden, wenn sie keine eigene Familie gründen wollen. Unsere Gesellschaft, so scheint es mir, lauert fast spöttisch auf das späte Bedauern der Kinderlosen: "Du wirst das später mal bereuen." Diesen Satz hören Frauen wie ich so häufig, explizit und implizit, dass es schwer ist, ihn nicht zu verinnerlichen und sich zu fragen, ob vielleicht tatsächlich etwas nicht stimmt.

Das Vorteil der Männer

Mutter zu werden, das ist keine rein individuelle Entscheidung mehr. Stattdessen muss Mutterschaft herhalten für nationale und wirtschaftliche Interessen ("Wer soll denn deine Rente bezahlen, wenn du mal alt bist?"), sie soll die Liebe zu einem Partner krönen, sie soll Sinn im Leben stiften. Ich beobachte bei meinen Freundinnen, was passiert, wenn ihnen auf Biegen und Brechen eingeredet wird, dass mit 40 alles vorbei ist, wenn sie keine Familie gegründet haben: Sie zweifeln ihre eigenen Bedürfnisse an, weil ihnen vermittelt wird, dass sie etwas anderes wollen müssen. Dass das so ist, hängt auch mit dem vorherrschenden Frauenbild in unserer Gesellschaft zusammen. Wenn Frauen die klassischen Standards an Jugend und Schönheit nicht mehr erfüllen, wird ihnen angeboten, ihr Selbstwertgefühl durch Ehe und Kinder wiederherzustellen. Wenn sie das nicht "geschafft" haben - tja, dann haben sie eben als Frau gesellschaftlich versagt. Der Blick des Bedauerns, des Zweifelns, der Kritik ist daher so gut wie jeder kinderlosen Frau sicher, die sich so langsam dem Ende ihrer Gebärfähigkeit nähert. Eine Interviewpartnerin brachte es mit der Frage auf den Punkt: "Bin ich denn ein Freak?" Ist sie natürlich nicht. Aber kein Wunder, dass ihr das so vorkommt. Männer haben es da besser, ihnen wird jedenfalls nicht ständig vorgehalten, dass sie impotent werden, die Anzahl und Qualität der Spermien zurückgeht, dass sie altern und zu erschöpft sein werden für Kinder.

"Als Gegenmodell zur Mutter gibt es nur die verhärmte, gefühlskalte Karrierefrau"

Der Mythos, dass Männer endlos Zeit mit der Familiengründung hätten, hält sich hartnäckig. Dabei bekommt die Mehrheit der Männer statistisch gesehen ebenfalls keine Kinder mehr, wenn sie die 40 überschritten haben. Ihr Vorteil ist mehr ein psychologischer denn ein körperlicher, denn uns wird weisgemacht, dass Männer emotional unabhängiger seien. Männern wird zugestanden, dass sie ihrem Bedürfnis nach Selbstentfaltung in verschiedener Weise nachkommen und deshalb Kinderlosigkeit verkraften können. Die kinderlose Frau hingegen gilt als tragisch und einsam. Oder als Opfer der Emanzipation, das seine natürlichen Bedürfnisse einfach nicht mehr sehen kann. Für kinderlose Frauen gibt es gesellschaftlich gesehen keine positiven Role-Models. Als Gegenmodell zur Mutter gibt es nur die verhärmte, gefühlskalte Karrierefrau (was natürlich lächerlich ist, schon allein wenn man bedenkt, wie wenig Frauen es immer noch in Führungspositionen gibt). Aber davon mal abgesehen:

Das Bild der spröden Frau im grauem Kostüm hinterm Schreibtisch passt weder zu mir noch zu den Frauen, die ich kenne. Für uns ist ein Leben ohne Kind so selbstverständlich, dass wir uns noch nicht einmal bewusst dagegenentschieden haben. Die Frage hat sich für mich und meine kinderlosen Freundinnen einfach nie gestellt. Studien zeigen, dass kinderlose Paare im Durchschnitt zufriedener als Eltern sind. Sie weisen oft einen stärkeren inneren Zusammenhalt auf, da sie mehr gemeinsame außerhäusliche Aktivitäten unternehmen und der intellektuelle und emotionale Austausch größer ist. Ihre Beziehung ist oft gleichberechtigter als die von Elternpaaren, denn normalerweise ist es immer noch die Frau, die ihr Leben mehr den neuen Herausforderungen anpassen muss. Es gibt gute Gründe, Kinder zu bekommen - es gibt allerdings auch gute Gründe dagegen.

Das Renten-Argument

Da gibt es dann aber natürlich noch die Politiker und Medien, die eine niedrige Geburtenrate nicht als Summe einzelner, individueller Entscheidungen sehen, sondern als Katastrophenszenario: Sie sorgen sich um den "Fortbestand der Nation". Da droht zum Beispiel die "Überfremdung", gar das "Aussterben der Deutschen", wenn Migranten mehr Kinder bekommen. Es wird vom Zusammenbruch des Rentensystems, der Pflegeund Gesundheitsversorgung geredet. Auch der Fachkräftemangel kann angeblich nur mit mehr Kindern gelöst werden, während Zuwanderung eher als Problem denn als Chance dargestellt wird. Schwierigkeiten in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Bereichen werden auf die demografische Entwicklung zurückgeführt, mehr Nachwuchs wird als Allheilmittel angepriesen. Das hat einen doppelten Effekt: Zum einen kann man der Frauenemanzipation die Schuld am angeblichen Niedergang der Nation geben, zum anderen kann man andere politische Lösungen - zum Beispiel die Erleichterung der Zuwanderung, das Erweitern des Familienbegriffs, mehr Geld für Pflegearbeit und Kinderbetreuung - auf die lange Bank schieben.

"Kein Kind zu bekommen bringt eine höhere Umweltbilanz mit sich"

Die Gesellschaftswissenschaftlerin Diana Hummel spricht hier von einer "Demografisierung gesellschaftlicher Probleme". Und der Statistik-Professor Gerd Bosbach hält demografische Langzeitprognosen ohnehin für fragwürdig: "Heutige Finanzierungsprobleme haben mit der demografischen Entwicklung bis 2050 nichts zu tun, aber die Löcher im Sozialsystem werden mit der Angst vor dieser Entwicklung schon heute gerechtfertigt." Wenn die Arbeitslosigkeit wächst und immer mehr Menschen im Niedriglohnsektor arbeiten, hilft auch ein Bevölkerungswachstum den Rentenkassen nicht. Die Politik müsste die Rahmenbedingungen an die aktuelle Lebensrealität der Menschen anpassen - und nicht umgekehrt versuchen, Konzepte der 50er Jahre vor dem Aussterben zu bewahren. Und wenn wir schon mal ehrlich über die gesellschaftliche Dimension der Kinderfrage reden: Global gesehen wäre eine Reduzierung der Bevölkerung in den Industrienationen eher sinnvoll, zumindest, was unseren Energieverbrauch, unser Konsumverhalten und das Ausmaß unserer Umweltzerstörung betrifft. Ein Forscherteam der Universität von Oregon hat errechnet, dass die Entscheidung, kein Kind zu bekommen, in den Industriestaaten einen zwanzig Mal höheren Effekt für eine positive Umweltbilanz mit sich bringt, als konsequent zu recyceln, ein Hybrid-Auto zu fahren, Strom und Wasser zu sparen. Aber das nur nebenbei.

Das Egoismus-Klischee

Ein viel bedientes Klischee ist, dass die Entscheidung gegen ein eigenes Kind bedeutet, dass man keine gesellschaftliche Verantwortung tragen will. Kinderlosigkeit wird abgestraft als Symptom für die wachsende Entsolidarisierung in der Gesellschaft, wo jeder (beziehungsweise: jede) nur den ganz eigenen Interessen nachgehen will, um spätestens im Alter dann reuevoll allein und verlassen dem Tod entgegenzudämmern. In Wahrheit lässt einem Kinderlosigkeit eher mehr Raum, sich sozial und gesellschaftspolitisch zu engagieren. Und statt sich in die Familie zurückzuziehen, schaffen viele Kinderlose neue Formen des solidarischen Zusammenlebens, die unsere alternde Gesellschaft dringend braucht.

"Alternativen schaffen abseits der gewohnten Kleinfamilie"

Viele meiner Interviewpartnerinnen basteln an Wohnprojekten, Mehrgenerationenhäusern und Landkommunen; und sie versuchen, Themen wie drohende Altersarmut und Pflege darin zu integrieren. Sie machen so auch die Unzufriedenheit über die herkömmlichen Familienkonzepte und Geschlechterverhältnisse nach außen hin deutlich, denn sie schaffen Alternativen abseits der gewohnten Kleinfamilie, die dann auch wieder das Zusammenleben mit Kindern ermöglichen - es müssen ja nicht immer zwingend die biologisch eigenen sein. Einige meiner Interviewpartnerinnen leben in einer Paarbeziehung mit jemandem, der bereits Kinder hat, andere unterstützen befreundete Eltern. Es gibt auch so etwas wie soziale Elternschaften. Das ist eine Perspektive, die politisch zwar nicht gefördert wird, aber die tickenden Uhren vieler Frauen vielleicht verstummen lassen kann. Denn Kinder, um die man sich im eigenen Umfeld kümmern kann, gibt es schließlich genug - und die Eltern sind oft für Unterstützung sehr dankbar. Es gibt viele Möglichkeiten, als Frau zu leben. Je mehr Formen von Weiblichkeit sichtbar und "normal" werden, um so mehr kann es Frauen nützen. Und zwar allen Frauen.

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