Haben alle anderen Paare den besseren Sex? Und wie krieg ich den auch?

Haben alle anderen Paare den besseren Sex? Und wie krieg ich den auch?

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Ja, allerdings nur in unserer Vorstellung. Im echten Leben fehlt den meisten das richtige Maß an Ehrlichkeit, um den Sex zu bekommen, von dem sie träumen. Warum das so ist und wie sich das ändern lässt, erklärt die Sexualtherapeutin Ann-Marlene Henning.

BRIGITTE: Frau Henning, die Überschrift für diesen Artikel lautet: "Haben alle anderen Paare den besseren Sex?".

Ann-Marlene Henning: Darauf kann man ganz kurz antworten: Nein.

Sie sagen, die meisten Leute hätten nie gelernt, wie Sex funktioniert. Aber lernt man nicht bereits durch Erfahrung?

Doch natürlich. Eine Art Erregungsreflex ist bereits angeboren, und wie man dann Sex haben wird, bringt man sich selbst bei. Erst fasst man sich an und merkt: "Oh, das ist nett." Später hat man Sex mit einem Partner, und irgendwas geht dann immer. Nur: Bei ziemlich vielen geht eben doch nicht so viel, wie sie gern hätten. Jede dritte Frau kommt nicht zum Orgasmus- auch nicht durch Selbstbefriedigung. Und beim Sex mit dem Partner können ohne Rubbeln mit der Hand sogar 80,90 Prozent der Frauen nicht kommen. In Wahrheit gibt es also nur zehn Prozent, die so beim Geschlechtsverkehr einen Orgasmus haben. Aber darüber spricht niemand. Mit der Hand zu kommen oder gar nicht zu kommen ist übrigens vollkommen okay, viele Frauen möchten aber mehr als das. Genau das können sie dann lernen.

Und wie?

Indem Frauen üben, wieder mehr zu spüren. Das wird Mädchen schon früh durch Erziehung ausgetrieben. Die sollen sich nicht anfassen, sonst wird die Mutter rot, und untenrum immer schön abwaschen. Was sie so mitbekommen, ist: Da unten, das ist verboten und dreckig, achte am besten gar nicht darauf. Sie haben es verlernt, sich zu spüren. Sie wissen nicht, dass der Beckenboden eine Sammlung höchst sexueller Muskeln ist, mit denen man durch einen Wechsel von Anspannung und Entspannung viel für die Erregung tun kann. Ich gebe den Frauen anfangs Übungen mit: Sie sollen zwei Wochen lang drauf achten wann sich unten was regt. Viele sind dann ganz erstaunt. Die spüren sich plötzlich an der Bushaltestelle, nur, weil sie Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist.

Und der Mann und seine Qualitäten im Bett spielen damit keine Rolle mehr?

„Die Idee, dass die Frau immer kommen muss, ist ein Sex-Stopper"

Doch. Wenn Frauen keine Lust haben, liegt es oft daran, dass der Sex für sie nicht geschlechtsgerecht ist. Stößt der Mann einfach nur schnell-und so haben viele Sex-, reagieren die Nerven in der Vagina kaum. Die brauchen langsame Bewegungen. Aber es gibt noch andere Stopper für Sex. Etwa die Idee, dass die Frau immer kommen muss, sonst war es nicht gut. Wie gesagt, viele Frauen tun sich schwer mit dem Orgasmus. Und manchmal wissen sie schon vorher, dass es nicht klappen wird, obwohl sie Lust auf Sex haben. Da kann man doch sagen: "Es wird heute nicht so leicht für mich sein zu kommen, lass uns trotzdem Sex haben, aber versuch es gar nicht erst und nimm die Hand da weg." Sagen die meisten aber nicht, weil der Partner dann traurig und pikiert ist. Schade! Und wieso heißt es überhaupt "Vorspiel bis er eindringt? das ist doch auch Sex!

Selbst wenn der Sex gut ist: In längeren Beziehungen wird er dennoch oft weiger. Und ist vielleicht auch einfach lange nicht mehr so aufregend und leidenschaftlich wie am Anfang.

In der Verliebtheitsphase sind die Hormone wie eine Droge. Man will den anderen sehen und spüren, selbst schlechter Sex ist schöner Sex. Aber diese Hormone haben mit Liebe wenig zu tun. Wer verliebt ist, will dauernd Sex. Liebe dagegen, tiefere Gefühle, sind hormonell gesehen nicht förderlich für Sex. So kann der Sex komplett aussterben, wenn man sich nicht kümmert. Ich habe Leute hier sitzen, die hatten fünf, zehn, fünfzehn Jahre keinen Sex. Und haben sich mehr oder weniger damit abgefunden.

Wenn beide damit einverstanden sind, ist es doch okay. Oder?

Sind beide zufrieden, warum nicht? Das Problem ist: Meist will doch einer mehr.

ist Psychologin und arbeitet in ihrer Praxis in Hamburg als Paar- und Sexual-Therapeutin. Ihr neuestes Buch heißt "Make more love: Ein Aufklärungsbuch für Erwachsene", darin geht es u.a. um die Sexualität im Alter (Rogner & Bernhard, 352 Seiten, 22,95 Euro).

Und dann?

Hat man ein Problem. Was ich in meiner Praxis oft merke, ist: Paare wissen viel zu wenig voneinander, auch nicht, was dem anderen Lust macht. Das beste Beispiel war das junge Paar aus meiner Sendung "Make Love", zehn Jahre zusammen. Ich frage sie, wie er den Sex initiiert. Sie sagt: "Er fasst mir an die Nippel." Ich frage: "Magst du das?" Sie sagt: "Nein." Ich frage: "Hast du das gesagt?" Sie verneint. Wenn ich so etwas höre, muss ich erst mal ganz, ganz tief durchatmen.

Was ist, wenn die Anziehung flöten geht? Ich kenne Frauen, die sagen: "Früher war er attraktiv, aber jetzt hat er sich gehen lassen, ist so dick geworden."

Es ist doch wohl klar, dass man da auch sagen darf: "Ich mag keinen Sex mit dir. Kannst du bitte anfangen, was für dich zu tun?" Das Ganze aber natürlich in einem ordentlichen Ton. Aber ich habe eine sehr hübsche Freundin, die mich bei ihrem neuen Freund vorwarnte: "Wundere dich nicht, er ist fett." Und das war er. Trotzdem kommt er rein, und ich denke: "O Gott, was für ein sexy Typ!" Weil es ihn überhaupt nicht kümmerte, wie er aussah. Er strahlte aus, dass er sich in seiner Haut wohl fühlte und um seine Sexyness wusste.

Das alte Klischee ist ja: Er hat Lust, sie nicht. Aber man hört von immer mehr Männern, die weniger Lust haben als ihre Frauen.

„Intimität heißt, sich dem anderen wirklich zu zeigen - mit allen Ecken und Kanten"

Ich glaube, das hängt auch mit den Hormonen zusammen. Männer haben durch Umwelteinflüsse viel weniger Testosteron als noch vor 30 Jahren, das ist messbar, und Testosteron ist das Lusthormon. Und wenn die Männer zwischen 40 und 50 sind, ist das Testosteron-Level über Jahre schon gefallen, jetzt spüren sie den Unterschied: Es ist die Phase, die der Menopause bei Frauen entspricht, es ist die Andropause. Aber das wissen die wenigsten und wundern sich, warum nicht mehr alles von selbst geht wie früher. Was außerdem neu ist: Pornos, das Abhängen vor dem Bildschirm. Er hat ohnehin nicht mehr so viel Lust, und wenn doch, macht er es sich allein. Das höre ich auch immer öfter.

Wie kann man die Lust nach der Verliebtheitsphase am Leben erhalten?

Das große Thema ist Intimität. Ist wahre Intimität da, verspürt man auch eher Verlangen. Und Intimität heißt, sich dem anderen wirklich zu zeigen, wie man ist, mit allen Ecken und Kanten. Also vollkommen ehrlich zu sein. Dazu gehört auch, unangenehme Wahrheiten auszusprechen wie "Schatz, ich finde unseren Sex todlangweilig".

Das soll die Lust wiederbeleben? Ist das nicht eher verletzend?

Ja, kann es sein. Aber wieder macht der Ton die Musik. Und es bedeutet nicht automatisch: "Du bist daran schuld." Es kann ja auch heißen: "Was können wir beide tun, damit es anders wird?" Und warum sollte der Partner das nicht abkönnen? Aber die meisten glauben, man müsse den Partner in Watte hüllen und so tun, als sei alles in Ordnung. Dabei ist genau das falsch. Wenn man sich verletzlich zeigt, ehrlich ist und sich traut, Schwierigkeiten anzusprechen - dann ist sie plötzlich wieder da, die Spannung. Aber das "So tun, als ob", dieses Krabbeln in eine Symbiose - das ist tödlich für den Sex.

Sich zu nah zu sein ist schlimmer, als sich auseinanderzuleben?

Wenn man sich zu nah ist, kann man den Partner nicht mehr richtig als eigenständigen Menschen sehen. Auch wenn jeder nur sein eigenes Ding macht und eine große Distanz da ist, verliert man sich leicht. Man braucht das richtige Maß an Abstand. Also eigene Interessen pflegen und neue entwickeln, andere Menschen treffen - und sich dann später erzählen, was man erlebt hat. Und man sollte ehrlich zueinander sein, sich zeigen, wie man ist, was man fühlt, und auch Unangenehmes offen ansprechen. Leider stelle ich aber immer wieder fest: Die Leute haben große Angst, verlassen zu werden. Deswegen hören sie auf, sich zu zeigen. Stattdessen legen sie den Deckel drauf, und ab dann geht es bergab.

Es gibt Sexualforscher, die sagen: Der Mensch ist zwar emotional monogam angelegt, sexuell aber nun mal nicht. Wie geht man damit um?

Ich war in früheren Beziehungen selbst untreu. Aber die Beziehungen, in denen das passiert ist, waren sowieso am Ende. Mittlerweile weiß ich: Wenn ich unbedingt mit anderen ins Bett möchte, dann stimmt etwas nicht. Jetzt gucke ich erst mal nach dem, was nicht stimmt, und versuche mit meinem Partner darüber zu reden. Jeder weiß, wann er zu weit geht. Ich halte es für besser, lieber vorher zu Hause aufzuräumen, bevor man diese Grenze überschreitet.

Und wenn ich mit dem Partner nicht reden kann, ist er nicht der richtige?

Für mich bedeutet es das. Es geht nicht darum, als Paar keine Probleme zu haben, es geht darum, wie man mit denen umgeht, die man hat. Ich bin seit zwei Jahren mit einem Mann zusammem, mit dem ich eine Tiefe und Nähe habe, die ich vorher in viel längeren Beziehungen nicht erreicht habe. Aber es hat lange gedauert, so jemanden zu treffen. Und den zieht man auch nur an, weil man selber weitergekommen ist.

Erlebt Ann-Marlene Henning live

Die berühmte Sexualtherapeutin aus der TV-Doku-Serie "Make Love" spricht mit der BRIGITTE am 4. März in Hamburg.

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