Was bedeutet ein Seitensprung für die Beziehung?

Was bedeutet ein Seitensprung für die Beziehung?

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BRIGITTE-Mitarbeiterin Theresa Bäuerlein wollte wissen, ob es ihn gibt: den richtigen Umgang mit Affären. Und besuchte ein Seminar des renommierten amerikanischen Paarforschers David Schnarch.

Foto: Klee/ableimages/Corbis

David Schnarch steht in einem Tanzsaal in Berlin. Vor ihm reihen sich Stühle mit Menschen, die ihn erwartungsvoll anblicken. Die mit Stoff umhüllten Kronleuchter über ihren Köpfen wirken etwas fehl am Platz. Denn Schnarch, ein international renommierter Paar- und Sexualtherapeut, gibt hier heute keinen Tango-Unterricht, sondern kümmert sich um eine andere Sorte Tanz: um Affären in Beziehungen und wie man damit umgeht. Schnarch blickt ins Publikum und sagt freundlich: "Ich möchte, dass jeder von Ihnen, der noch nie eine Affäre hatte oder dessen Partner noch nie eine Affäre hatte, die Hand hebt." Erst passiert nichts. Dann gehen zögerlich zwei Paar Hände hoch - in einem Raum mit mindestens 80 Menschen. Schnarch grinst. "So ist das in jedem Seminar", sagt er.

Auch meine Hand bleibt unten. Bislang sind der Mann, mit dem ich seit vier Jahren zusammen bin, und ich uns treu, aber in früheren Beziehungen kamen Affären vor. Besonders überraschend ist das nicht, laut Statistik geht jeder zweite Partner irgendwann fremd. Ich bin also nicht die Einzige, der das passiert ist, aber besonders tröstlich finde ich das nicht. Denn egal, ob ich selbst fremdging oder betrogen wurde, die Situationen, in denen die Seitensprünge ans Licht kamen, waren immer furchtbar. Ich hoffe sehr, dass man das besser machen kann. Vielleicht kann Schnarch mir sogar sagen, wie man Seitensprünge verhindert. Immerhin ist der Mann Beziehungsprofi.

Mein Partner soll treu sein, aber ich nicht unbedingt

Ich nehme meinem Partner seine Wahl und habe selbst dafür zwei

Der erste Aha-Effekt setzt ein, als Schnarch eine typische Beziehungslage beschreibt, die er das "Zwei-Wege-Dilemma" nennt. Ich fühle mich ertappt. Und ich bin nicht die Einzige, den betretenen Gesichtern um mich herum nach zu urteilen. "In jeder Beziehung haben beide Partner eine Wahl", sagt Schnarch. "Und in jeder unreifen Beziehung versucht jeder Partner, mehr als eine Wahl zu haben, dem anderen dafür aber keine zu lassen. Das sieht dann so aus: Ich entscheide mich dafür, dass ich eine monogame Beziehung will. Aber eigentlich möchte ich, dass das nur für meinen Partner gilt. Ich selbst möchte gern mit anderen schlafen dürfen. Oder: Ich treffe die Wahl, dass ich keinen Sex in meiner Beziehung will.

Aber mein Partner darf trotzdem nur Sex mit mir haben. Ich nehme meinem Partner also seine Wahl und habe selbst dafür zwei." Ein Zuhörer lacht. Der Rest schaut nachdenklich oder macht sich eifrig Notizen. Die nächste Erkenntnis stellt sich ein, als Schnarch erklärt, warum den meisten von uns der Umgang mit Untreue so schwerfällt: Wir achten auf die falschen Dinge. Jeder, der weiß, wie es ist, wenn eine Affäre auffliegt, kennt das: Der eine ist tief gekränkt, der andere bittet reuig um Vergebung. Falscher Ansatz, meint David Schnarch. "Wenn der Fremdgänger um Verzeihung bittet, sagt der Partner: ‚Schön für dich. Du kannst mich mal'", meint der Psychologe und grinst. "Nicht weiter verwunderlich, denn wem bringt die Vergebung etwas?"

Wieso machen wir uns selbst fertig, wenn wir betrogen werden?

Sofort erinnere ich mich daran, wie mein Ex-Freund fast in die Knie ging, als er für seinen Seitensprung um Verzeihung bat, damals im Sommer, auf unserem Balkon. Je mehr er sich wand, desto schlechter ging es mir. Etwas stimmt hier ganz entschieden nicht, sagte mir mein Gefühl. Er hatte für uns beide etwas kaputt gemacht. Und ich sollte das heilen, indem ich ihm Absolution erteilte? "Die Bitte um Vergebung verstärkt das Gefühl des treuen Partners, dass ihm etwas angetan worden ist", und darin, so Schnarch, liegt ein Problem: Der Betrogene konzentriert sich so nur noch auf das Gefühl der Demütigung - und fühlt sich schlecht.

Laut Schnarch ist dieser Schmerz ein Missverständnis. Klar tut es weh, wenn der Partner fremdgeht. Aber man sollte den Schmerz nicht unnötig mit Scham verbinden. Eine Scham, die durch, wie er es nennt, mangelnde "Differenzierung" entsteht. Sprich: Die Partner sind derartig symbiotisch miteinander verbunden, dass sie nicht mehr zwischen dem eigenen und dem Problem des Partners unterscheiden können. Geht der Partner fremd, lautet der automatische Gedanke: "Das sagt etwas über mich aus. Mit mir stimmt etwas nicht."

Aber wieso machen wir uns selbst fertig, wenn wir betrogen werden? Fremdgehen, meint Schnarch, sagt erst einmal etwas über den Fremdgänger aus. Und zwar, dass der eine gemeinsame Abmachung einseitig gebrochen hat. Wenn der treue Partner sich das klarmacht, kann er sich auf das konzentrieren, was in dieser Situation am wichtigsten ist: auf sich selbst.

Untreue bietet Entwicklungschancen

Das Spiel von Reue und Vergebung ist fatal

Das leuchtet mir ein. Ich denke daran, wie peinlich es mir damals war, meiner Familie von dem Betrug zu erzählen. Wie unangenehm, die mitleidigen Blicke meiner Freundinnen zu ertragen. Ich hatte das Gefühl, versagt zu haben, wusste aber nicht, inwiefern. Vielleicht war die Affäre ein Zeichen dafür, dass meinem Freund etwas fehlte, dass er sich etwas wünschte, was ich ihm nicht geben konnte. Aber die Entscheidung, das Problem nicht mit mir zu lösen, sondern es quasi outzusourcen, indem er mit einer anderen schlief - das war allein sein Ding. Wäre mir das damals klar gewesen, hätte ich mich eventuell anders verhalten.

Hätte die Scham abgelegt, wäre vielleicht stärker gewesen und hätte mir die Beziehung genauer angesehen. So aber lief es klassisch: Ihm tat es leid, ich verzieh ihm, keiner hatte Lust, sich dem eigentlichen Problem zu widmen. Kein Wunder, dass wir nicht mehr zusammen sind. Denn das Spiel von Reue und Vergebung hält auch den Fremdgänger wunderbar davon ab, sich mit der Situation richtig auseinanderzusetzen.

Dennoch bleiben Affären hart für die Liebe. Hält man es jedoch mit Schnarch, bieten sie gute Entwicklungschancen. "Eine Beziehung, die auf der Idee aufbaut, dass man sich darin immer wohl und geborgen fühlt, das hat sich jemand ausgedacht, der nie verheiratet war", diesen Satz sagt Schnarch mehrmals. Was klingt wie ein tröstlicher Witz, ist ein ziemlich radikales Konzept von Liebe. Denn Monogamie, die exklusive Entscheidung für einen Menschen, ist in vieler Hinsicht radikal. Besonders in Zeiten, in denen manche ihre Partner so oft wechseln wie ihre Smartphones.

Jede Harmonie wird irgendwann unterbrochen

Schnarch ist überzeugt, dass entgegen aller Wahrscheinlichkeit lange, exklusive Beziehungen nicht nur möglich sind, sondern ein enormes Potenzial haben. Weil es darin keine Alternative gibt. Man lässt sich komplett auf den anderen ein und arbeitet hartnäckig alles durch, was mit der Zeit auftaucht. Und es taucht immer etwas auf. "Niemand macht mehr Ärger als der eigene Partner, außer vielleicht die eigene Mutter", sagt Schnarch. Und sieht darin kein Problem. Wahrscheinlich hat er recht: Die größte Hilfe beim Umgang mit Affären, oder überhaupt mit Beziehungen, ist der Perspektivwechsel. Jede Harmonie wird irgendwann unterbrochen.

Will man damit klarkommen, kann man nur - wachsen. Mit diesem Gedanken im Kopf freue ich mich auf dem Nachhauseweg sehr auf meinen Mann. Ich hoffe, wir schaffen es, einander treu zu bleiben. Auch wenn wir einander wahrscheinlich trotzdem noch wahnsinnig viel Ärger machen werden.

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