Seelische Verletzungen heilen - aus eigener Kraft

Seelische Verletzungen heilen - aus eigener Kraft

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Der Gips für verletzte Herzen ist noch nicht erfunden. Aber es gibt einen Weg, seelische Wunden zu heilen. Das Tolle: Das Rezept dafür hat jeder Mensch in sich ...

Foto: deux/Corbis

Es fließt kein Blut. Nicht mal einen blauen Fleck kann man erkennen. Und doch will man am liebsten acht Stunden am Stück schreien. Der Körper - äußerlich unversehrt - fühlt sich an wie eine einzige klaffende Fleischwunde. Der Schmerz ist überall: im Bauch, den schweren Beinen, der engen Brust, dem leeren Kopf, der seine Arbeit scheinbar eingestellt hat, nur noch die alltägliche Routine abspult.

Seelische Verletzungen sind unsichtbar. Die Schmerzen, die sie auslösen, sind hingegen real. Leider gibt es den Gips, der Herzen wieder richtet, noch nicht auf dem Markt.

Manchmal stirbt ein geliebter Mensch. Oder er macht sich einfach aus dem Staub. Manchmal wirft eine Krankheit all unsere Lebenspläne über den Haufen. Oder ein Unfall geschieht. Manchmal vergisst eine Freundin eine Freundin zu sein. Und die Familie schert sich einen Dreck. Manchmal sind es gar nicht die großen Katastrophen, die uns psychisch taumeln lassen. Manchmal sind es die vielen kleinen Stiche, die uns irgendwann so zusetzen, dass wir keine Lust mehr haben, morgens aufzustehen.

Dann kommen sie: Die "Was denn los mit Dir? Siehst ja gar nicht gut aus"-Sager. Und sie haben Tipps dabei: Mal richtig ausschlafen wirkt Wunder! Ein langer Urlaub! Oder vielleicht doch besser gleich eine Therapie? Drei Mal die Woche Sport! Lass mal wieder ordentlich einen trinken gehen!

Ja, klar, gern, alles. Doch so gut gemeint die Ratschläge auch sind - sie kratzen nur an der Oberfläche. Wer seelische Verletzungen wirklich heilen will, muss tiefer gehen . Eine so unangenehme wie einschüchternde Erfahrung. Zu der es aber keine wirkliche Alternative gibt.

Lebe lieber unerwartet!

Das Überraschende ist: Wenn wir uns genau anders herum verhalten, als wir es gelernt haben, kommen wir an den Kern der Verletzung. Gelernt haben wir, dass seelischer Schmerz etwas Schlechtes ist. Etwas, dass es zu verdrängen gilt. Etwas, dass man nicht haben will in seinem Leben. Darum suchen wir sofort nach schnellen Lösungen, damit er wieder verschwindet - oder erst gar nicht einbricht in unser Leben.

So funktioniert das Leben aber nicht. Aus der chinesischen Philosophie kennen wir das Yin-und-Yang-Prinzip: ein Kreis, in dem sich die gegensätzlichen Farben Weiß und Schwarz ergänzen. Sie stehen für Gegensätze. Für Tag und Nacht. Kalt und warm. Schwer und leicht. Glücklich und traurig. Nur zusammen ergeben sie ein Ganzes.

Das Yin-und-Yang-Prinzip hilft. Auf seelische Verletzungen übertragen bedeutet es: kein Hochgefühl ohne Traurigkeit. Keine Zufriedenheit ohne das Gefühl, unzufrieden zu sein. Denn ohne Schmerz wüssten wir gar nicht, wie sich Schmerzlosigkeit anfühlen würde.

Was auch hilft: den Schmerz nicht weg-haben-wollen.

Sich dem Schmerz stellen - so, als würde man sich unter eine kalte Dusche stellen. Zuerst ist es fürchterlich, aber irgendwann gewöhnt sich unser Körper daran. Wir spüren, wie das Wasser über den Nacken bis auf die Zehen fließt. Wir bleiben stehen. Wir laufen nicht weg.

Den Schmerz anzuehmen hilft. Es ist sehr sicher, dass wir dabei weinen. Und verzweifelt sind.

Wenn wir erkennen, dass der Schmerz genauso Teil unseres Lebens ist wie die Freude. Wenn "in guten wie in schlechten Tagen" nicht nur ein Versprechen für jemand anderen ist - sondern für uns selbst. Dann können unsere seelischen Verletzungen langsam heilen.

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