Tantra ist mehr als eine Sex-Übung - es kann Beziehungen heilen

Tantra ist mehr als eine Sex-Übung - es kann Beziehungen heilen

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Tantra ist kein Cocktail aus Esoterik und Sex, es basiert vor allem auf Achtsamkeit. Und die kann unsere Beziehungen - und unseren Sex - heilen. Sexualtherapeutin Susanna-Sitari Rescio klärt auf.

Foto: Shutterstock / NAS CRETIVES

1. Tantra im Alltag

BRIGITTE: Was bedeutet Tantra?

Susanna-Sitari Rescio: Tantra ist ein Erkenntnisweg und basiert auf der Schulung der Achtsamkeit. Wobei "Achtsamkeit" nicht bedeutet, "lieb und nett" zu sein. Es ist eine wertfreie, wohlwollende Wahrnehmung dessen, was gerade ist. Was im Jetzt passiert. Wie fühle ich mich? Was brauche ich? Wie geht es mir? Achtsamkeit funktioniert für mich allein und in der Beziehung zu anderen Menschen, zu Kollegen, meiner Familie und meinem Partner. Tantra- Yoga schult diese Fähigkeit.

Es hat also nicht nur mit Sexualität zu tun?

Sexuelle Energie spielt deshalb eine Rolle, weil sexuelle Erregung unter den unterschiedlichsten Empfindungen, die ein Mensch haben kann, eine der stärksten ist. Und deshalb kann sie unsere Aufmerksamkeit stark auf das Hier und Jetzt fokussieren.

2. Was Achtsamkeit für die Beziehung bedeutet

Die Heilpraktikerin für Psychotherapie leitet das SoHam-Insitut in Hamburg, eine Heilpraxis für ganzheitliche Sexualtherapie. Sie berät Frauen, Männer und Paare zu Problemen und Fragen rund um Sexualität. Ihr Buch "Sex und Achtsamkeit", (Verlag: J. Kamphausen Mediengruppe, 250 Seiten, 16,95 Euro) ist 2014 erschienen.

Wie kann man als Paar achtsam miteinander umgehen?

In meiner Praxis rate ich oft Folgendes: Baut einen Puffer für euch selbst ein, bevor ihr abends auf den Partner trefft. Im Alltag ist es doch oft so: Man kommt von der Arbeit, trägt seine Gedanken oder seinen Frust weiter mit sich rum, geht einkaufen und hat zu Hause etwas zu erledigen. Normalerweise landet diese Energie ungebremst auf dem Partner. Achtsam wäre es, erst einmal den Kontakt zu sich selbst aufzunehmen, bevor man beim anderen andockt.

Das kann bedeuten, dass man sich eine halbe Stunde Zeit nimmt, um auf dem Sofa zu entspannen. Oder man treibt Sport oder liest etwas. Irgendetwas, was einem gut tut, um sich selbst zu zentrieren. Das nennt man auch Emotionsregulierung. Danach kann man sich fragen, was man in diesem Moment selbst braucht: Ist es Zuwendung? Möchte ich mit meinem Partner ein Thema besprechen, das mich weiterhin beschäftigt? Will ich harten Sex? Oder Kuschelsex?

Und dann?

Wenn ich weiß, wie es mir selbst geht, kann ich auf den Partner zugehen. Aber dabei ist es wichtig, auf seine Bedürfnisse genauso zu achten, wie auf meine. In welch einer Stimmung ist er? Was glaube ich, was er braucht? Dann kann ich - verbal oder nonverbal - meine Wünsche äußern. Eine achtsame Begegnung bedeutet immer, dass ich ein Auge und ein Ohr bei mir habe und ein Auge und ein Ohr bei meinem Partner. Etwas anderes wäre es, wenn ich nur an mich denken würde oder - im umgekehrten Fall - nur an ihn. Das Pendel sollte immer ausbalanciert sein.

Wenn ich selbst achtsam bin, ist das hervorragend. Aber wenn der Partner nur auf sich fixiert ist, nützt mir das doch nichts.

In dem Fall sollte man klar sagen, dass man sich zum Beispiel Zeit mit dem anderen wünscht. Beide könnten für diese qualitative Zeit das Handy ausmachen. Oder man fragt den Partner, ob man sich eine halbe Stunde Zeit geben soll, um To-do's abzuhaken und sich danach wiedertrifft. Es ist wichtig, das zu kommunizieren. Wenn der Partner solche Vorschläge dauerhaft abblockt, sollte man sich selbst kritisch fragen, warum man mit diesem Menschen zusammen ist.

3. Wie Tantra unseren Sex verändert

Wie funktioniert Achtsamkeit beim Sex?

Ich gebe ein Beispiel, was es nicht ist. Ein Paar sitzt vor dem Fernseher, er streichelt ihren Arm und zappt gleichzeitig durch die Kanäle, mit einem halben Auge gleichzeitig beim Handy. Die Berührung am Arm ist natürlich eine Berührung, aber keine achtsame. In einem Tantra-Berührungsritual lernt man vorerst, zwei Rollen zu unterscheiden: die des Gebenden und die des Empfangenden.

Ein achtsames Anfassen eines Gebenden würde bedeuten, dass er sich ganz auf das Gegenüber einstellt, ihn berührt und spürt, was in seinem Körper passiert. Entspannt oder verkrampft er sich? Ist es lustvoll oder so entspannend, dass er einschläft? Der Gebende wertet nichts, er beobachtet. Und der Empfangende bleibt passiv, damit auch er seine Aufmerksamkeit auf sich lenken kann. Es ist wie eine innere Reise. Er darf alle Emotionen, alle Gefühle und Empfindungen wahrnehmen. Auch er sollte nichts bewerten, sondern einfach nur genießen. Erregung darf beim Tantra sein, ist aber nicht zwingend das Ziel. Die Begegnung sollte möglichst frei von Absicht sein, damit sich das entfalten kann, was eben gerade ist.

4. Wie Tantra hilft, wenn im Bett nichts mehr läuft

Ist Tantra eine Möglichkeit für Paare, die nur noch wenig Sex haben, sich aber mehr Berührungen wünschen?

Ja, auch wenn es um körperliche Begegnungen geht, sollte man schauen, was die eigenen Hauptbedürfnisse sind. Bei Frauen höre ich oft, dass sie die emotionale Nähe zum Partner vermissen. Weil er keine Zeit mehr für sie hat oder fremdflirtet. Viele Frauen erzählen mir dann, dass sie den sexuellen Kontakt suchen, aber nicht, weil sie Lust darauf haben, sondern weil sie möchten, dass der Partner Lust auf sie hat. Das ist etwas, was in der Tantra-Praxis vermieden wird. Wer nur Bestätigung möchte, muss ich fragen, wie er das dem Partner anders kommunizieren könnte. Das gilt auch für andere Probleme. Aber Berührungen in Achtsamkeit bilden eine emotionale Brücke, die den Weg zum Sex erleichtern kann.

5. Zwei Tantra-Übungen, die Beziehungen verändern können

Welche Tipps haben Sie außerdem für mehr Nähe in Beziehungen?

Ich empfehle zwei Übungen. Die Erste nennt man die "tantrische Umarmung". Beide Partner stehen aufrecht und umarmen sich. Aber nicht nur 15 Sekunden, sondern mehrere Minuten. Dabei streicheln sie sich nicht und reden nicht. Sie fühlen nur. Wie steht der Partner - ist er angespannt, vorgebeugt, zurückgelehnt oder entspannt? Wie positioniert man sich selbst? Lehnt man sich zurück oder stützt man sich ab? Wer diese Übung täglich macht, schafft neue neuronale Bahnen im Gehirn und verändert dadurch die Beziehung.

Die andere Übung ist noch einfacher: Man berührt sich, wenn man miteinander redet. Egal, ob man sich über Kleinigkeiten austauscht oder diskutiert. Wer in Körperkontakt bleibt, ist dem anderen emotional näher.

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