Gelegenheiten muss man schaffen - auch in der Liebe

Gelegenheiten muss man schaffen - auch in der Liebe

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Wir wissen genau, wann wir etwas unternehmen müssten, um die Verbindung zu unserem Partner wieder herzustellen. Doch anstatt aufeinander zuzugehen, warten wir ab.

Foto: Matt Lincoln/Corbis

Frau M. zupft an ihrer Bluse und rutscht auf dem Sofa herum. "Mir ist es langsam peinlich", sagt sie schließlich. "Es ist immer das Gleiche. Meinen Mann sehe ich kaum. Aber wenn er dann mal da ist, dann fährt er bei der kleinsten Kleinigkeit aus der Haut. Alles nervt ihn, alle anderen sind Idioten. Ich bin dann auch nur noch genervt und verabrede mich daher, so oft ich nur kann, mit meinen Freundinnen." Herr M. hört scheinbar ungerührt zu. "Sie müssten dringend mal wieder miteinander sprechen ...", beginne ich. Frau M. hat sich mittlerweile in eine Decke eingewickelt. "Ja, aber dazu haben wir eben gar keine Gelegenheit", sagt sie. Und ich frage sie beide: "Ist das wirklich wahr?"

Beziehungen bleiben nicht einfach gut. Beziehungen müssen wir immer wieder klären. Beziehungen - allen voran unsere Liebesbeziehung - sind für uns das Wichtigste auf der Welt. Die große Langzeitstudie der Harvard-University, deren Teilnehmer über 70 Jahre lang begleitet wurden, zeigt, dass nicht Erfolg und Anerkennung, sondern nahe, liebevolle Beziehungen Gesundheit und Zufriedenheit eines Menschen bestimmen. Darauf ist unsere Psyche programmiert. Deshalb fühlen wir immer, wie nah oder belastet unsere Liebesbeziehung gerade ist.

"Ich habe Angst, dich anzusprechen" - ein guter Einstieg, wenn sich die Beziehung nicht mehr gut anfühlt

Wir wissen daher genau, wann wir etwas unternehmen müssten, um die Verbindung zwischen uns wieder herzustellen. Doch anstatt aufeinander zuzugehen, warten wir ab. Denn eine kriselnde Beziehung fühlt sich unsicher an. Wir fürchten dem anderen "zu viel" zu werden, wenn wir schon wieder mit unserer Unzufriedenheit um die Ecke kommen. Oder wir fürchten, "zu wenig" zu sein und nur wieder zu hören, dass wir alles falsch machen. Also schleichen wir umeinander herum, halten Smalltalk und machen uns vor, dass sich die richtige Gelegenheit ergeben muss, um wieder zueinanderzufinden.

Foto: Ilona Habben

Aber es ist nicht die Gelegenheit, die uns fehlt. Was uns abhält, ist unsere Angst, abgewiesen zu werden und unsere Scham, uns bedürftig zu zeigen. Doch je länger wir warten, umso schwerer wird es. Weil wir immer enttäuschter vom Partner sind, dass er auch keinen Schritt auf uns zu macht. So landen auch Frau und Herr M. immer wieder auf dem Beziehungsnullpunkt. Herr M. fürchtet, dass alles nur noch schlimmer wird, wenn man an einem Problem rührt. In seinem Elternhaus ging man über Probleme einfach hinweg. Also reagiert er gereizt, sobald seine Frau ihn anspricht. Und da Frau M. eine überforderte, ungeduldige und sehr entwertende Mutter hatte, zieht sie sich ängstlich zurück. Nah kommen sie sich nur noch bei ihrem spitzmundigen Abschiedsküsschen. In dem so wenig Gefühl liegt, dass sie genauso gut den Türrahmen knutschen könnten.

Unsere Beziehungsängste können wir nicht einfach übergehen. Aber das müssen wir auch nicht, denn wir können sie uns gegenseitig zeigen. "Ich habe Angst, dich anzusprechen", ist ein guter Einstieg, wenn sich die Beziehung nicht mehr gut anfühlt. Wenn wir den anderen nicht kritisieren, sondern ihm zeigen, wie einsam oder abgewiesen wir uns gerade fühlen. Dazu müssen wir nicht auf die vermeintlich richtige Gelegenheit warten. Denn Gelegenheiten schafft man.

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