Der Paartherapeut erklärt, wie wir den anderen wirklich wahrnehmen

Der Paartherapeut erklärt, wie wir den anderen wirklich wahrnehmen

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Es ist erschreckend und spannend zugleich, wie sich Paare in Beziehungen wahrnehmen. Paartherapeut Oskar Holzberg erklärt die Geheimnisse.

"Wow!", flüstert Laura ihrer Freundin Catarina zu. "Siehst du, wie aggressiv Jasper wieder ist? Er hat echt ein Problem. Es wird immer schlimmer. Ich will eigentlich nicht mit so einem Aggro-Typen zusammen sein!" Laura, Catarina und Jasper sind auf der Eisbahn. Und ja, es ist schon auffällig, dass Jaspers Eisstock immer weit über das Zielquadrat hinausschießt oder sogar mit Wucht gegen die dahinter liegende Bande knallt. Die Freundin schüttelt trotzdem den Kopf. "Nee, Jasper ist doch eigentlich voll entspannt. Der ist nur gerade noch sauer auf dich, wegen eures Streits." Laura ist irritiert.

Dass wir stets versuchen, jedes Verhalten eines anderen zu verstehen, macht uns Menschen zu kompetenten sozialen Wesen. Wir sind Alltagspsychologen im Dauereinsatz. Ob unser Partner happy, genervt oder schweigsam ist: Wir suchen nach einer Erklärung für seine Stimmung. Wir schreiben all dem, was wir beobachten, eine Bedeutung zu. Der Sozialpsychologe Fritz Heider hat dafür den Begriff der Attribution gefunden. Entweder erklären wir uns das Verhalten unseres Partners durch sein Innenleben, also seine Persönlichkeit, oder wir erklären es durch die äußeren Umstände.

Forscher haben herausgefunden, dass Partner aus glücklichen Ehen positive Verhaltensweisen eher der Persönlichkeit des anderen zuschreiben, während sie negatives Verhalten durch die Umstände erklären. In unglücklichen Ehen ist es dagegen genau umgekehrt.

In Konflikten schreiben wir uns die positiven Eigenschaften zu - und dem Partner die negativen

Das Risiko, in so einer unglücklichen Ehe zu enden, ist allein schon deshalb ziemlich hoch, weil wir die Neigung und auch die Fähigkeit haben, über andere eine Persönlichkeitstheorie zu bilden. Das heißt: Wir machen uns ein Bild vom Charakter unseres Partners - und begreifen sein Verhalten immer weniger als spontane Reaktionen, sondern als Anteile seiner Persönlichkeit. Wegen der eingefahrenen partnerschaftlichen Kommunikation nehmen wir ihn dabei aber zunehmend negativ wahr.

Jasper ist tatsächlich in der Beziehung zu Laura immer aggressiver geworden - aber nur gegenüber ihr. Denn Laura sprach oft nicht aus, was sie bewegte, schmollte dann aber vorwurfsvoll. Er fragte nach und wurde immer wütender, je sprachloser sie blieb. Und je wütender er wurde, desto mehr verschloss sie sich. Hinzu kam, dass wir in Konflikten dazu neigen, den anderen als unser Gegenteil wahrzunehmen.

Foto: Ilona Habben

Es ist klar, wohin das führt: Wir schreiben uns die positiven Eigenschaften zu und dem Partner zunehmend negative. Bis wir - wie Laura bei Jasper - in der Persönlichkeit unseres Partners nur noch ein unerträgliches Problem sehen und ihn in eine unserer Psycho-Schubladen ablegen. Beliebt sind: Depressiv! Egoistisch! Dominant! Gefühllos!

Ja, Partner können problematisch sein, schwierige Menschen, wirklich unerträglich. Doch in den meisten Fällen liegt es an unserer Wahrnehmung, wenn sich Traumprinzen in eklige Kröten verwandeln. Wir tun gut daran, stets die Umstände mehr in Betracht zu ziehen, wenn wir das für uns schwierige Verhalten unseres Partners interpretieren. Und dabei nie zu vergessen, dass sein einflussreichster Umstand wir selbst sind. Das Problem ist nicht der andere.

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