Körpergefühl Mein Gewicht ist mir egal

Körpergefühl Mein Gewicht ist mir egal

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BRIGITTE-Redakteurin Sonja Niemann wundert sich, warum so viele normalgewichtige Frauen das öde Thema "Bauch, Beine, Po" beschäftigt. Ihr Gewicht ist ihr egal. Meistens zumindest.

Achtung, jetzt wird's gleich langweilig. Also: Ich habe heute bereits ein Laugencroissant (265 Kalorien), ein Brötchen mit vegetarischem Toskana-Aufstrich (37 Prozent Fett), ein Gemüse-Couscous mit Minzjoghurt (vollfett) und drei Handvoll karamellisierter Nüsse gegessen (Zucker UND Fett). Für heute Abend plane ich noch, mit einer Freundin acht Kilometer sehr gemütlich joggen zu gehen (Kalorienverbrauch ca. 375) und hinterher ein Bier zu trinken, und zwar mit Alkohol. Eventuell sogar zwei Bier, obwohl das den Fitness-Aspekt des Abends vermutlich völlig ruiniert. Wie viel ich wiege, weiß ich nicht. Schätzungsweise irgendetwas zwischen oberste Kante Normalgewicht und unterste Kante leichtes Übergewicht; dem Sitz meiner Kleidung nach zu urteilen, wechselt das auch ab und an. Mein Hintern ist ziemlich klein, meine Bauchsilhouette dafür von der Seite gesehen eindeutig konvex. Und beim Drauffassen schön weich.

So, fertig. Warum ich Ihnen diesen Kram erzähle, der Ihnen vermutlich schnurzegal ist? Der mir sogar selbst egal ist? Ich versuche nur, mich den allgemeinen sozialen Gepflogenheiten anzupassen. Und eine davon lautet: Wir Frauen reden gern über unsere Figur und unser Essverhalten, natürlich nicht positiv. Und wenn wir nicht darüber reden, machen wir uns wenigstens Gedanken: Ich müsste mal Sport machen. Ich müsste vielleicht mal drei Kilo abnehmen. Soll ich dieses Stück Kuchen noch essen, obwohl ich vorhin Nachtisch hatte? Darf ich noch ein Glas Rotwein trinken? Und macht mich dieses Kleid dick?

In 99 Prozent aller Fälle wird dann natürlich trotzdem das Stück Kuchen gegessen, der Rotwein getrunken, nicht mehr Sport als vorher gemacht, und die drei Kilo bleiben auch. Aber Hauptsache, man hat ein schlechtes Gewissen dabei.

Die meisten Frauen sind doch normal

Ich verstehe das alles nicht. Die meisten Frauen, denen ich im Alltag begegne - gerade diejenigen, die diese Sätze von sich geben -, sehen nicht so aus, als müsste die Figur irgendein Thema für sie sein. Sie sind weder so dick, dass sie tatsächlich gesundheitliche Probleme befürchten müssen oder irgendwelche Arschlöcher hinter ihrem Rücken Witze über Nilpferde machen. Sie sind auch nicht so dünn, dass jeder automatisch eine Essstörung vermutet und sie ständig joviale Tipps bekommen wie "Mädchen, iss mal ein Butterbrot, Männer wollen auch was zum Anfassen haben".

Nein, die meisten Frauen, die ich kenne, sind so "normal", wie ich mich auch selbst bezeichnen würde. Das Wort "normal" deutet ja schon an, dass etwas die Norm ist, sprich: die Mehrheit. Und "normal" bedeutet in Deutschland, statistisch gesehen: Der durchschnittliche Body-Mass-Index für Frauen liegt bei 26. Das gilt als leicht übergewichtig, aber erstens handelt es sich dabei um eine willkürliche Grenze, und zweitens ist erwiesen, dass leichtes Übergewicht das Leben eher verlängert. Das heißt: Eigentlich müsste das Thema "Figur" ein Nischenthema sein, das die Mehrheit der Bevölkerung null interessieren dürfte, weil bei ihnen alles in Ordnung ist.

Aber komischerweise ist dem nicht so. Light- und Low-Fat-Produkte füllen Regale im Supermarkt, Frauenzeitschriften verkaufen sich mit Diäten auf dem Titel (ja, diese nicht ausgenommen), und Fitness-Studios sind gepflastert mit weiblichen Karteileichen, die irgendwann mal meinten, sie müssten was für Bauch, Beine, Po tun. Auch das "Freche Frauen"-Romangenre, in dem die Heldin nach heiteren Turbulenzen doch noch den Traummann abbekommt - und das trotz ihrer dicken Oberschenkel! -, ist einfach nicht totzukriegen (auch wenn dankenswerterweise in letzter Zeit ein wenig Konkurrenz aufgekommen ist in Form der Handlungsstränge "Sex in Handschellen" und "Sex mit Vampiren").

Es lohnt sich nicht, so viele Gedanken zu investieren

Doch, zugegeben, es kommt vor, dass auch ich ernsthaft etwas denke wie "Ich sollte mal die Oberarme trainieren". Dieses Vorhaben rangiert aber in meiner Prioritätenliste ziemlich weit hinten, irgendwo hinter "Nächstes Jahr pflanz ich vielleicht Heliotrop auf dem Balkon an", knapp vor "Kann ich wirklich sagen, dass ‚Supershark' der schlechteste Haifisch-Film aller Zeiten ist, wenn ich bis jetzt weder ‚Sharknado' noch ‚Haie im Supermarkt' gesehen habe?"

Ich habe das Gefühl, dass es gar nicht wenigen anderen Frauen ebenfalls so geht. Dass sie natürlich wissen, dass es nicht glücksentscheidend ist, ob man ein bisschen dünner oder ein bisschen dicker ist. Dass es sich nicht lohnt, darauf groß Gedanken und Energie zu verschwenden. Dass Sätze wie "Ich habe heute schon wieder gesündigt" und "Lecker, aber das geht direkt auf die Hüften" einfach zu den Floskeln gehören, die man so vor sich hin sagt, ohne sie wirklich zu meinen: ein bisschen nach dem Befinden fragen, ein bisschen übers Wetter reden, ein bisschen über die Figur jammern. Es passiert einfach. Ich weiß das.

Gestern zog ich ein T-Shirt über. Ich blickte in den Spiegel und sagte zu der zufällig anwesenden Freundin: "Hm, betont schon ein bisschen die Bauchrolle." Ich wollte das nicht sagen. Es ist mir einfach so rausgerutscht. Verdammt.

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