Wie werde ich nur mit meiner Trauer fertig?

Wie werde ich nur mit meiner Trauer fertig?

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Wer einen nahestehenden Menschen verliert, kämpft mit tausend Gefühlen. Wie kann ich meine Trauer verarbeiten, fragen sich viele. Eine Psychotherapeutin und Trauerbegleiterin gibt Antworen.

Foto: PhilPaul.com/photocase.de

BRIGITTE: Wenn Sie einen Menschen treffen, der eine nahestehende Person verloren hat. Gibt es einen Satz, den Sie immer als Erstes sagen?

Jutta Rust-Kensa: Den gibt es nicht, weil jede Situation unterschiedlich ist. Manche Menschen wirken wie versteinert, andere reden viel, einige warten erst einmal ab. Es ist nur meine Haltung, die immer gleich ist: Ich nehme das an, was gerade da ist. Ich hole den Trauernden dort ab, wo er gerade ist.

Die 66-Jährige ist Psychotherapeutin und verantwortlich für die Ausbildung zum Trauerbegleiter am Hamburger Institut für Trauerarbeit.

Wie kann ich mir dieses "abholen" vorstellen?

Viele Trauernde haben das Gefühl, dass sie nicht mehr normal seien, wie aus der Bahn geworfen. Meiner Meinung nach brauchen sie vor allem die Sicherheit, dass alles, was sie gerade erleben und empfinden in Ordnung ist.

Sie haben gesagt, dass jeder Mensch unterschiedlich reagiert. Gibt es trotzdem etwas, was alle eint?

Das lässt sich nicht pauschal sagen. Die Lebenssituationen der Trauernden sind sehr unterschiedlich und die Arten, wie der geliebte Mensch gestorben ist. War es ein Unfall oder eine lange Krankheit? Bleibe ich allein zurück oder habe ich eine Familie? Ich denke, dass für viele Trauernde der Tod des Angehörigen wie eine Zäsur ist. Es gibt immer ein "Vorher und Nachher" - die Zeitrechnung für das eigene Leben verändert sich.

Wie gehen Sie auf Trauernde ein, die wieder schnell "funktionieren" wollen?

Wir geben zu bedenken, dass es sinnvoller ist, sich mit der Trauer auseinanderzusetzen. Aber wir drängen niemanden. Wir bieten an, zu uns zu kommen. Manchmal sieht es aber auch nur nach außen so aus, als würde der Trauernde etwas verdrängen. Es gibt Menschen, die erst einmal nicht anders können, als aktiv zu sein. Sie gehen Tanzen oder shoppen und die Umwelt runzelt die Stirn. Das ist keine Ignoranz, sondern ein Ausdruck, dass diese Person verletzt ist und sich dem noch nicht stellen kann. Diese Menschen müssen erst ganz aktiv Dinge unternehmen, bei denen sie immer Halt gefunden haben.

Sollten Trauernde also vor allem auf sich hören und dem nachgeben?

Ja, genau. Das fängt schon bei der Frage an: Wie möchte ich beerdigen? Wenn ich die Trauerfeier so gestalte, dass es meinen Partner, meine Mutter oder mein Kind noch einmal würdigt, dann ist das die richtige Entscheidung. Egal, was andere sagen. Es müssen nicht immer drei kirchliche Lieder und ein biblischer Text sein, wenn es nicht zu der Person passt. Es bringt einen stärkeren inneren Frieden und eine gute Erinnerung, seinen Wünschen zu folgen.

Hilft die Selbstbestimmtheit in der ersten Phase?

Ja, sie erzeugt eine Befriedigung von "Das habe ich gut gemacht". Wir ermuntern auch, Abschied zu nehmen. Wenn beispielsweise ein Angehöriger im Krankenhaus gestorben ist, kann man ihn vom Bestatter nach Hause bringen lassen und sich dort in Ruhe verabschieden. Viele Menschen wissen gar nicht, dass dies möglich und erlaubt ist. Der Bestatter Fritz Roth hat einmal gesagt: "Es geht darum, den Tod zu begreifen." Das hat auch eine sinnliche Seite. Um zu verstehen, dass ein Mensch nicht mehr lebt, sind Rituale wichtig. Das kann ein Abschied im eigenen Zuhause oder eine Trauerfeier sein.

Wenn ein Mensch stirbt, kämpfen die Angehörigen oft mit vielen widersprüchlichen Gefühlen: Verzweiflung, Wut oder mit dem Wunsch, glücklich weiterzuleben: Wie kann man all das für sich sortieren?

Das Beste ist, wenn man mit jemanden spricht - mit Menschen, die einem nahe stehen. Jemanden, der sie versteht. Ein Trauernder sollte sich niemals sagen, dass er darüber nicht reden darf. Wenn Freunde fehlen, gibt es Trauergruppen, an die man sich wenden kann. Gemeinsam trauern heißt auch, Rituale zu finden, gemeinsam zum Friedhof gehen, eine Kerze anzünden und über den Verstorbenen zu sprechen.

Aber strapaziert man seine Freunde nicht über, wenn man zum 457-Mal mit denselben Gefühlen kommt?

Natürlich, wer seine Freunde entlasten möchte, ist in Trauergruppen gut aufgehoben. Unsere Erfahrung zeigt aber auch, dass es nicht immer dieselben Gefühle bleiben. Durch das Sprechen und Verstanden werden, ändert sich etwas. Und wenn es sich nicht ändert, ist es ein Zeichen, dass der Tod des Mitmenschen noch nicht verstanden wurde. In diesem Fall kann eine Therapie hilfreich sein, um zu schauen, was die Trauer ausgelöst hat. Ein Todesfall kann andere Verluste wieder hochholen, an die man überhaupt nicht mehr gedacht hat.

Es gibt auch andere schmerzvolle Verlustgefühle im Leben: Trennungen, Scheidungen, Jobverlust. Gibt es Ratschläge aus der Trauerarbeit, die helfen können?

Die Gefühle sind ähnlich. Beispielsweise ein Verlust von Heimat, ein Verlust von körperlicher Unversehrtheit - all das löst Trauer aus. Das einzige, was man wieder raten kann, ist, darüber zu sprechen und sorgsam mit sich umzugehen. Zu sagen, dass diese Gefühle berechtigt sind. Ein Jobverlust ist ebenfalls ein Schock. Er ist wie ein Riss im Boden, auf dem man steht. Und auch hier gilt: Auf Trauer kann man sich nicht vorbereiten. Wenn es geschieht, ist es unfassbar. Selbst, wenn man es vorher geahnt hat.

Gibt es einen Zeitraum, in dem Trauer abgeschlossen sein sollte?

Das ist eine übliche Frage. Früher hat man davon gesprochen, dass Trauer nach einem Jahr abgeschlossen ist und hat deshalb das Trauerjahr eingeführt. Heute geben wir keine Zeitbegrenzung. Manche Menschen, besonders Eltern, die ein Kind verloren haben, sagen, dass sie die Trauer sogar ein Stück weit behalten möchten. Auch wenn sie ein erfülltes Leben führen. Sie ist dann wie eine Erinnerung.

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