Warum halten einige an schlechten Beziehungen fest?

Warum halten einige an schlechten Beziehungen fest?

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Es geht meistens um Angst, die uns die Realität verdrehen lässt, sagt die Paartherapeutin Anika Bökenhauer. Aber wie kommt man da wieder raus?

Foto: Stas Knop/shutterstock

ist studierte Diplom-Pädagogin und systemische Paar- und Sexualtherapeutin in Göttingen.

BRIGITTE: Warum halten Menschen an Verbindungen fest, die ihnen eigentlich nicht guttun?

Anika Bökenhauer: Oft ist es Hoffnung, die sie zusammenhält - dass es irgendwann wieder so werden wird wie am Anfang. Dass er sich doch noch ändert, mich so liebt, wie ich es mir wünsche. Insbesondere Frauen entwickeln bisweilen einen enormen Ehrgeiz, die Nuss doch noch zu knacken. Unbegründete Hoffnung kann Jahrzehnte der Realität trotzen.

Welche wechselseitigen Abhängigkeiten spielen da eine Rolle?

Es gibt individuelle Gründe, warum Menschen an solch einer Beziehung festhalten. Ein geringes Selbstvertrauen spielt eine große Rolle, und damit einhergehend Angst. Sie trauen es sich nicht zu, allein neu anzufangen, sich eine Wohnung zu suchen, finanziell nur auf sich gestellt zu sein. Sie reden sich ein: Das hier ist immer noch besser, als sich zu trennen. Er mag manchmal nicht nett zu mir sein, aber er hilft im Haushalt, ist gut zu den Kindern, so schlecht ist er doch gar nicht, ich sollte dankbar für das sein, was ich habe.

Ist es wirklich nur die Angst vorm Alleinsein? Es gibt doch auch diese Paare, die immer vermitteln, sie könnten weder mit- noch ohneeinander ...

Ja. Neulich hatte ich zum Beispiel ein Paar in der Sprechstunde, wo die Frau so massiv über ihren Mann schimpfte, dass ich sie irgendwann fragte, warum sie ihn nicht verlassen würde. Schließlich arbeiteten wir heraus, dass die Tatsache, dass er sich so schwach verhält, sie stark sein lässt. Sie braucht jemanden wie ihn an ihrer Seite, weil sie sich wohlfühlt in ihrer Rolle als starkes Familienoberhaupt. Außerdem ist es natürlich praktisch, jemanden zu haben, der im Zweifelsfall nachgibt. Wenn sich dann jedoch irgendwann der vermeintlich schwache Mann trennt, passiert es häufiger, dass die Frauen regelrecht zusammenklappen.

Gibt es einen Unterschied zwischen einer unglücklichen Beziehung und einer destruktiven?

In jeder Beziehung gibt es destruktive Elemente. Das fängt an beim Verteilen von kleinen Spitzen oder wenn die Frau ihren Partner zum dritten Mal in einer Stunde fragt, ob er jetzt eigentlich seine Sachen weggeräumt habe, obwohl sie die Antwort kennt. Wir haben alle in uns das Potenzial, zerstörerisch oder gemein zu sein, vor allem dann, wenn wir uns angegangen fühlen. Bedenklich wird es erst, wenn überhaupt keine Wertschätzung mehr in der Partnerschaft stattfindet, kein schönes Erlebnis geteilt, alles fehlinterpretiert wird und man sich nur noch gegenseitig bekämpft.

Welche Paare sind besonders anfällig für solche Mechanismen?

Solche, die es nicht schaffen, wirklich miteinander zu sprechen. Streit gibt es überall, aber wenn man nicht die Kompetenz hat, sich zu entschuldigen und aufeinander zuzugehen, wird es schwierig. Oft fehlt das Wissen um die eigenen Bedürfnisse und Grenzen - und die Fähigkeit, diese auch zu artikulieren. Wer sich selbst wenig kennt, kann auch andere nicht gut lesen. In einer Beziehung sollten beide lernen, die Signale des anderen richtig zu deuten: Verteidigt sich mein Partner gerade aus Hilflosigkeit nur noch mit Händen und Füßen? Braucht er jetzt mein Mitgefühl statt noch einen Vorwurf mehr? Fühlt er sich gerade in die Ecke gedrängt und beißt deshalb zurück? Wie kann ich ihm da wieder heraushelfen?

Bei manchen Paaren hat man den Eindruck, dass sie die ständige Reibung geradezu brauchen.

Jemand, der immer Drama anzettelt, lenkt damit vielleicht von anderen wichtigen Dingen ab. Etwa davon, sich in der Mutterrolle nicht zurechtzufinden oder das Gefühl zu haben, die eigenen Ziele nicht zu erreichen. Wenn es dann Konflikte in der Beziehung gibt, muss ich mich mit dem eigenen Problem nicht so auseinandersetzen.

Wann ist der Moment für eine Therapie gekommen?

Je eher, desto besser. Der Leidensdruck muss für diesen Schritt oft erst ein gewisses Level erreicht haben. Ich rate Paaren, einfach mal zu einer ersten therapeutischen Sitzung zu gehen und das auch gar nicht so hoch zu hängen. Je früher man ungute Muster aufdeckt, desto besser ist die Langzeitprognose für die Partnerschaft. Es hilft schon, wenn einer von beiden sich traut, sich seinen Problemen zu stellen.

Was raten Sie einem Paar, das von Ihnen Hilfe erwartet?

Zunächst einmal geht es darum, herauszuarbeiten, warum die beiden trotz allen Kummers aneinander festhalten. Ist da noch genug Positives vergraben, um das es sich zu kämpfen lohnt? Dann versuchen wir gemeinsam, den anderen besser zu verstehen, wieder Mitgefühl füreinander zu entwickeln. Außerdem ist es wichtig, den Fokus vom Partner zu nehmen. Weg von: "Du musst dich ändern, damit es mir gut geht." Hin zu mehr Eigenverantwortung: "Ich selbst bin dafür verantwortlich, dass es mir gut geht."

Sind die typischen Muster eines Mannes in destruktiven Beziehungen eigentlich anders als die einer Frau?

Es gibt destruktive Verhaltensweisen, die häufiger bei Männern auftreten: der komplette Rückzug, die Weigerung, über Gefühle zu sprechen. Männer sind im Gegensatz zu Frauen selten gewohnt, sich mit Freunden auf dieser Ebene auszutauschen. Streitgespräche sind für ihn daher herausfordernder. Wenn ein Streit unproduktiv ist, und dies ist schnell erkennbar, wäre es daher für alle Beteiligten hilfreich, das Gespräch abzubrechen und sich für später zu verabreden, wenn beide ruhiger sind.

Wie ergeht es Kindern, die in destruktiven Beziehungen groß werden?

Sie leiden genauso unter ungesunden Strukturen und lernen nebenbei: So geht Partnerschaft. Davon nehmen sie dann allerhand mit für ihr zukünftiges Beziehungsleben. Auch im Interesse der Kinder sollte man daher die Schwierigkeiten angehen. Ganz besonders gilt das natürlich in extremen Fällen, in denen etwa Gewalt vorkommt.

Warum fällt es den Beteiligten häufig so schwer, sich gerade aus solchen extrem ungesunden Beziehungen zu lösen?

Wir wissen, dass Menschen, die als Kind bereits selbst Gewalt erfahren haben, auch später leichter wieder in einer solchen Beziehung landen. Menschen suchen in ihrem Partner häufig das Vertraute, das vermittelt Sicherheit - auch wenn das in diesem Zusammenhang absurd erscheinen mag. Die Vorstellung einer Trennung kann somit sehr angstbesetzt sein.

Was sind erste Warnzeichen einer solchen Abhängigkeitsbeziehung?

So eine Beziehung beginnt oft mit einer starken Idealisierung. Wenn eine Freundin erzählt, ihr neuer Freund sei der absolute Wahnsinn und es gebe überhaupt nichts Problematisches, sollte man hellhörig werden. Dass der Partner ständig ihre Grenzen überschreitet, nehmen sie in Kauf, weil die Sehnsucht nach Liebe und Bestätigung größer ist.

Wie können betroffene Frauen sich aus der Opferrolle befreien?

Neben dem, was der Partner einem angetan hat, ist es wichtig, darauf zu schauen: Was habe ich mir selbst angetan? Wo habe ich mich schlecht behandelt? Oft sind Betroffene es aus ihrer Kindheit gewohnt, dass ihre Grenzen nicht respektiert werden. Daher funktioniert ihr Frühwarnsystem nicht. Diese Muster gilt es aufzudecken. Denn nach dem Ende einer destruktiven Beziehung ändert sich nicht automatisch etwas an den Bedürfnissen, die mich in eine solche getrieben haben. Ich muss mich daher fragen: Was kann da in mir sein, was dazu führt? Das entlässt den Täter nicht aus seiner Täterrolle. Aber das Opfer kann lernen, sich zu schützen.

"Gescheiterte Beziehungen bergen die Chance, Verletzungen aus der Kindheit aufzudecken"

Wenn wir bei befreundeten Paaren destruktive Elemente in der Beziehung erkennen, sollten wir dann eingreifen?

Es ist schwer, dabei zuzusehen, wenn jemand, der einem am Herzen liegt, ins Unglück rennt. Statt Ratschläge zu geben, könnte man der betroffenen Freundin wertfrei signalisieren: Ich bin neugierig, warum diese Verbindung für dich Sinn macht. Warum bist du mit diesem Mann zusammen? So erhält die Betroffene eine Vertrauensperson und schafft es vielleicht, sich ihr gegenüber zu öffnen. Denn Menschen in solchen Paarkonstellationen isolieren sich und trauen sich gar nicht mehr, irgendetwas preiszugeben. Aber es gibt auch einen Punkt, an dem Angehörige und Freunde auf sich selbst schauen müssen. Wenn sie massiv mitleiden, sollten sie Grenzen ziehen und sagen: Komm wieder, wenn du wirklich Hilfe willst - und nicht mehr nur jammerst und trotzdem bei ihm bleibst.

Gibt es auch irgendetwas Positives, das man aus einer destruktiven Beziehung mitnehmen kann?

Nur in Beziehungen zu anderen können wir lernen und wachsen. Auch in gescheiterten Beziehungen. Sie geben uns manchmal sogar die Chance, Verletzungen aus der Kindheit aufzudecken und zu heilen. Man lernt viel über sich selbst - und das ist, trotz allen Kummers, wichtig für unsere Entwicklung.

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