Kann man lernen, Entscheidungen schneller zu treffen?

Kann man lernen, Entscheidungen schneller zu treffen?

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Wie soll man große Entscheidungen treffen, wenn man nicht mal genau weiß, ob man Artischocken oder Pilze auf der Pizza will? Sonja Niemann hatte genug von ihrer Entscheidungsschwäche - und hat sie (fast) kuriert.

Foto: sör alex / photocase.de

Das Beste an dem Film "Spiderman 3", der mittelmäßigen unter den Spiderman-Verfilmungen, ist folgendes Zitat: "Entscheidungen machen uns zu dem, der wir sind. Und wir haben immer die Wahl, das Richtige zu tun." Wie so oft in Hollywood-Blockbustern steckt hier viel Weisheit drin, finde ich. Und genau das macht mir Angst. Seit jeher tue ich mich schwer mit Entscheidungen: von der Studien- und Berufswahl (mehrere Irrläufe) bis hin zur Frage, ob ich die Pizza mit Artischocken oder mit Champignons möchte. Ich grübele, was ich anziehen soll, wo ich Urlaub machen möchte, ob ich aus dem Ruderclub austreten soll und, falls ja, in dem Fall anderes mit meinem Dienstagabend anfangen soll, Capoeira oder Improvisationstheater oder ein sinnvolles Ehrenamt oder einfach früh ins Bett. Überall gibt es so viele Möglichkeiten: Woher soll ich wissen, welche da die "richtige Wahl" ist? Ganz zu schweigen von den wirklich großen Entscheidungen des Lebens, die sich in 98 Prozent auf die Grundsatzfrage "Bleiben oder gehen?" runterbrechen lassen. Schönen Dank auch, Spiderman.

Ich will lernen, wie man schneller und besser Entscheidungen trifft, wenn möglich, die richtigen. Dafür werde ich nicht nur weiter Hollywood-Filme gucken, sondern mich auch in Managementbücher vertiefen, Affektbilanzen zeichnen, einen blauen Luftballon in meiner Brust entdecken und mit einem renommierten Professor reden.

Aber warum nicht gleich groß anfangen: Ich suche mir erst mal psychologische Hilfe.

In einer Zeitungsmeldung hatte ich mal gelesen, dass an der Universität Bochum eine Gruppentherapie für Menschen entwickelt wurde, die zum übermäßigen Grübeln neigen. Genau das Richtige für mich, denke ich.

Jede Entscheidung ist besser, als im Wartezustand zu verharren und überhaupt keine zu treffen

Leider nicht, erklärt mir Dr. Tobias Teismann. Zum einen, weil die Gruppe derzeit nicht stattfindet, zum zweiten, weil sie mir wahrscheinlich sowieso nicht helfen würde: "Wir behandeln damit so genannte depressive Grübler. Grübeln ist oft auf die Vergangenheit gerichtet: Wie konnte mir das passieren, warum mache ich immer alles falsch und so weiter." Zwar gehe, so Dr. Teismann, dies in der Realität meist mit Entscheidungsschwäche einher, da das viele Grübeln verhindert, dass überhaupt mal gehandelt wird. In der Behandlung lernen seine Patienten vor allem, die Gedankenspirale zu unterbrechen, indem sie sich bewusst auf anderes konzentrieren: zum Beispiel das Ticken der Uhr im Raum. Oder indem sie sich einen Fluss mit darin schwimmendem Herbstlaub vorstellen, das zusammen mit den negativen Gedanken davontreibt.

Verstehe. Aber gibt es denn gar keine Übungen, mit denen ich lerne, schnellere, bessere Entscheidungen zu treffen? Dr. Teismann muss mich enttäuschen: "Wenn Sie sich, wie eine ehemalige Patientin von uns, nicht zwischen Ehemann und Geliebtem entscheiden können, hilft es Ihnen nicht, an Herbstlaub zu denken. Sie müssen irgendwann den Konflikt an sich lösen." Einen guten Rat könne er mir aber mitgeben: "Jede Entscheidung ist besser, als im Wartezustand zu verharren und überhaupt keine zu treffen. Und sehr wahrscheinlich werden Sie hinterher mit Ihrer Entscheidung, egal, wie sie ausfällt, auch zufrieden sein. So ist der Mensch gepolt. Unzufrieden machen zumeist die nicht getroffenen Entscheidungen."

Nächster Versuch: Bücher lesen, vielleicht reicht das ja. Manager müssen ständig Entscheidungen treffen, und es mangelt weiß Gott nicht an schlauer Literatur, die verspricht, ihnen dafür die besten Wege aufzuzeichnen.

Da ich nicht weiß, was das beste Buch zum Thema "Entscheidungsfindung" ist, scanne ich ungefähr 30 durch, zehn davon kaufe ich (Waren das die richtigen? Verdammt).

Der kleine gelbe Business-Ratgeber schägt unter anderem den "Entscheidungsbaum" vor, in dem ich alle Konsequenzen meiner verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten mit der Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens aufzeichne und dann die Konsequenzen daraus. Der amerikanische Klassiker "Smart Choices" setzt eher auf Konsequenzen mit Wahrscheinlichkeiten in Tabellen. Grafiken und Tabellen und Matrizen mit Konsequenzen und Wahrscheinlichkeiten scheinen überhaupt wichtig zu sein. Und mir irgendwie unsympathisch, da sie mich an den schlechteren Teil meines BWL-Studiums erinnern (wie gesagt: beruflich mehrere Irrläufe). Außerdem fällt es mir schwer, meine Zukunft in Wahrscheinlichkeitswerte zwischen 0 und 1 zu packen.

Außerdem gibt es da noch die Bücher von Verhaltensökonomen und Hirnforschern, die mir die Grenzen meines rationalen Verstandes aufzeigen: Menschen halten an erwiesenermaßen blöden Entscheidungen fest, wenn sie da schon viel reininvestiert haben (Aktien auf dem Sinkflug, unglückliche Beziehungen), überschätzen ihre Chancen und Fähigkeiten (ja, die meisten Start-ups gehen schnell wieder pleite, aber mein Bubble-Tea-Laden doch nicht) und lassen sich von Emotionen in die Irre leiten (der Typ sieht nett aus, der ist bestimmt auch als Chef super). Aufs Einfachste manipulieren lassen sie sich auch noch: fallen immer wieder auf die ältesten Verkaufstricks rein (vorher 199 Euro, nur heute 59 Euro!), und bei der Wahl zwischen einem Apfel und einer Birne wird die Birne schlagartig reizvoller, wenn daneben als dritte Option noch eine andere Birne liegt, die einen Matschfleck hat. (Ein Effekt, der auch eintritt, wenn man einen durchschnittlichen Mann neben seinem unattraktiveren Kumpel sieht.)

Zu Entscheidungen gehören immer Verstand und Bauchgefühl

Da meinem eigenen Verstand offenbar ohnehin nicht zu trauen ist, rufe ich Maja Storch an. Sie arbeitet als Coach und leitet das "Institut für Selbstmanagement und Motivation", ein Ableger der Universität Zürich. "Welches ist denn gerade eine aktuelle Entscheidung, die Ihnen schwerfällt?", fragt mich Maja Storch. Ich schildere ihr ein kleines, nicht lebenswichtiges Problem, an dem ich aber schon seit Wochen rumkaue - im Wesentlichen geht es darum, ob ich mir eine Art permanentes Ferienzimmer in dem Berliner Kiez leisten soll, in dem ich vor dem Umzug nach Hamburg mal gewohnt habe, "ich habe da so ein Angebot, aber andererseits wäre ich ja kaum dort, außerdem müsste ich eigentlich endlich mal ganz in Hamburg heimisch werden, und überhaupt".

"Allein, dass Sie seit Wochen darüber nachdenken, zeigt, dass Sie vermutlich ein Kopfmensch sind, der Pro- und Contra-Listen macht", sagt Frau Storch. "Zu einer klugen Entscheidung gehören aber immer Verstand und Bauchgefühl. Wenn Sie Ihr Bauchgefühl ignorieren, handeln Sie gegen Ihr persönliches Gefühl für sich selbst." Sie wisse aber, dass viele Verstandesmenschen mit dem guten Rat "Fühl doch einfach mal in dich hinein" rein gar nichts anfangen können und stattdessen dann nur wieder drüber nachdenken, was sie fühlen. "Aber es gibt ein paar Hilfsmittel, um den Verstand zu überlisten. Probieren Sie es doch mal mit der Affektbilanz." Ich zeichne nach Frau Storchs telefonischer Erklärung meine "Affektbilanz". Es geht dabei darum, rein intuitiv und ohne jede Überlegung bauchzufühlen, in welcher möglichen Entscheidung man für sich mehr Vor- und Nachteile sieht.

Meine "Affektbilanz" sieht ungefähr so aus wie die Zeichnung links (bloß kritzeliger, weil handschriftlich). Hmm. Eindeutig mehr Plus bei dem Wochenendzimmer in Berlin, selbst wenn man das dazugehörige Minus abzieht. So gesehen ist ziemlich klar, für welche Entscheidungs-Alternative mein Herz schlägt.

Der Druck ist körperlich weg

"Als zweiten Schritt müssen Sie überlegen, wie Sie das Minus auf der einen Seite verringern können. Zum Beispiel, falls es um das Geld für die Miete geht, wo Sie an anderer Stelle etwas einsparen können. Jetzt ist der Verstand gefordert. Aber Sie wissen nun, in welche Richtung Sie denken müssen." Ansonsten rät Frau Storch mir noch, meine Körperwahrnehmung zu schulen: "Ein Kloß im Hals, ein Kribbeln im Bauch. Sie müssen darauf achten und es ernst nehmen."

Die Tatsache, dass sich mein Bauch selten meldet - oder ich ihn gekonnt ignoriere - führt mich zu Sylvia Glatzer. Frau Glatzer ist Heilpraktikerin in Hamburg und Expertin für "Focusing": eine Methode, in der man lernt, auf Signale des Körpers zu achten und sich davon leiten zu lassen. Frau Glatzer ist sehr nett, sie redet ein beruhigendes Wienerisch und hat eine helle, holzige, Feng-Shui-erprobte Wohlfühlpraxis. Es fällt mir leicht, die Augen zu schließen, obwohl das optional ist.

"Wenn Sie an die Frage denken, die Sie derzeit beschäftigt: Wo spüren Sie das im Körper?" - "Im Brustkorb." Es ist sogar so sehr der Brustkorb, dass ich selber darüber erstaunt bin.

"Wenn Sie sich das Gefühl im Brustkorb so anschauen, was sehen Sie da?"- "Das sieht aus wie ein blauer Luftballon, der im Brustkorb eingequetscht ist, weil er eigentlich viel zu groß dafür ist." (Wieso ist der blau? Keine Ahnung. Aber ich habe ihn so vor meinem inneren Auge, und zwar sehr klar. Komisch.) "Wie groß ist der Luftballon, und wie weit ist er von Ihnen weg?" - "Er ist viel größer als ich. Ich stehe direkt davor, aber ich trau mich nicht, ihn anzufassen. Ich habe Angst, dass er platzt." (Was erzähl ich da eigentlich? Was hat das mit meiner Entscheidung zu tun? Und wo habe ich bloß dieses Bild her??)

Unter Anleitung von Frau Glatzer sehe ich weiter den imaginären blauen Luftballon an. Ich versuche, ihn aufzuknoten, aber er platzt dabei. Ich fühle mich etwas traurig, aber auch erleichtert. Der Druck ist weg, und zwar, wie ich erstaunt merke: körperlich weg. Ich muss nur noch die Fetzen wegräumen. Und ein goldenes Gas in den Brustkorb einfüllen. Ich erzähle das ruhig und klar, während mein Verstand nebenbei Amok läuft: Goldenes Gas, also ehrlich, Sonja, ich glaube, es hackt. Und überhaupt, bringt dich das jetzt irgendwie weiter?

Am Ende der Stunde fühle ich mich zuversichtlich, geradezu beschwingt. "Es geht gar nicht darum, das sofort im Hinblick auf Ihr Problem zu interpretieren. Aber Sie werden in ein paar Tagen vielleicht merken, dass die Dinge klar vor Ihnen liegen."

Wir können nicht alle Konsequenzen unseres Handelns wissen

Und eigenartigerweise hat Frau Glatzer recht. Letzte Station: das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Im Vorzimmer von Professor Gerd Gigerenzer liegen etliche seiner Fachpublikationen mit Titeln wie "Simple heuristics that make us smart". Prof. Gigerenzer ist einer der profiliertesten Entscheidungs- und Risikoforscher in Deutschland, sein Buch "Bauchentscheidungen" ist in 18 Sprachen übersetzt worden, Manager, Ärzte und amerikanische Bundesrichter haben bei ihm Weiterbildungen zum Thema Entscheiden und Umgang mit Unsicherheiten gemacht. Wenn einer mir helfen kann, dann ja wohl er. Also, Professor Gigerenzer, was kann ich tun? Prof. Gigerenzer sieht mich an. Er sagt: "Wenn Sie sich eine Hose kaufen, können Sie zwei Strategien ausprobieren. Sie können zum einen versuchen, die beste Hose überhaupt zu finden, indem Sie in einen Laden gehen, alles anprobieren, dann in den nächsten Laden gehen, wieder alles anprobieren, um dann schließlich kurz vor Ladenschluss irgendeine Hose zu kaufen. Von der Sie natürlich immer noch nicht wissen, ob es die beste ist." So, wie er es sagt, schwant mir, dass es hier nicht nur um Hosenkauf geht. "Oder", spricht er weiter, "Sie können vorher überlegen, was Ihnen wirklich wichtig ist: Die Hose soll schwarz sein, gut sitzen und nicht teurer als 100 Euro sein. Und dann kaufen Sie die erste, auf die das zutrifft, und schauen sich die anderen gar nicht mehr an. Auch wenn es Ihnen schwerfällt." Und ja: Das gelte auch für alle anderen und wichtigeren Entscheidungen des Lebens.

Wie jetzt? Bei einer Hose okay, aber ich soll auch bei Partner- oder Jobsuche nicht nach dem Besten suchen, sondern mich so schnell zufriedengeben? "Immer nach dem Besten zu suchen ist das Rezept zum Unglücklichsein. Denn selbst, wenn Sie es gefunden hätten, würden Sie das ja nie sicher wissen."

Wenn Sie für sich entscheiden, erleben Sie sich als Mensch, der Sie sind

Gerd Gigerenzer hat gelernt, schnelle Entscheidungen zu treffen: Wenn er in ein Restaurant geht, schaut er nicht in die Speisekarte, sondern fragt den Kellner, was der heute Abend hier essen würde. Wenn er einkauft, vertraut er auf bekannte Marken, "denn wenn die gar nichts taugen sollten, hätte man davon schon mal was gehört". Das berühmte Bauchgefühl, sagt Gigerenzer, bedeute häufig nichts anderes, als Dinge aus einem einzigen guten Grund auszuwählen. Und das sei auch richtig so. Auch wenn es allem widerspricht, was in vielen Entscheidungsbüchern steht. "Die Welt funktioniert nun mal nicht so, dass wir alle Konsequenzen unseres Handelns kennen und wissen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Möglichkeit A oder Möglichkeit B eintritt. Selbst wenn es ganze Berufsgruppen gibt, die meinen, das berechnen zu können."

Aber ist man nicht heute vor allem von der Vielfalt der Möglichkeiten überfordert? Waren früher die Leute vielleicht sogar glücklicher, als sie beruflich einfach das machten, was der Vater machte, mit Anfang 20 den Jungen aus dem Nachbardorf heirateten und es im Supermarkt noch nicht 156 Marmeladensorten zur Auswahl gab? Kurzum: War das Leben nicht einfacher, weil sich viele Fragen gar nicht erst stellten?

"Das mag sogar sein. Aber für mich ist es nicht das Ideal einer Gesellschaft. Wir sollten einfach durch eine der vielen Türen, die uns off en stehen, hindurchgehen, anstatt nur ratlos davorzustehen." Dafür braucht es den Mut, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. "Wenn Sie für sich entscheiden, erleben Sie sich als Mensch, der Sie sind", sagt Gerd Gigerenzer. Und Mensch sein - das war ja noch nie einfach.

Spiderman sagt: Entscheidungen machen uns zu dem, der wir sind. Und ich denke mittlerweile: Hauptsache, man trifft sie. Selbst eine falsche Tür kann ja noch irgendwo hinführen, wo es interessant ist.

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