Protokoll einer Ehetherapie - immer gibt es Streit ums Kind

Protokoll einer Ehetherapie - immer gibt es Streit ums Kind

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Im zweiten Teil des Protokolls ihrer Ehetherapie erzählt BRIGITTE-Autorin Maja Schwaab, warum es immer wieder Streit ums Kind gibt und wie sie gelernt hat, nicht jedem Impuls zu folgen.

Ein Abend Ende Januar. Seit Weihnachten zahnt Mattis, er hängt an meinem Rockzipfel und lässt sich nur noch von mir ins Bett bringen. Weil ich das ändern möchte, frage ich Daniel: "Willst du es nicht auch mal wieder probieren?" - "Finde ich schwierig momentan", antwortet mein Mann. "Versuchen kann man es ja", will ich ihn ermutigen. Aber das ist schon zu viel. Ich wolle nicht nur unseren Sohn erziehen, sondern auch ihn, sagt Daniel, warum er jetzt schon wieder seine Vaterqualitäten beweisen müsse, immer dieser Gleichberechtigungs-Extremismus, der Kleine sei nun mal in einer Mama-Phase, sowas sei doch ganz normal.

Normal findet mein Mann weiterhin: Wenn Mattis sich irgendwo stoßen könnte, sollte man sofort eingreifen. Wenn Blut fließt, und sei es auch nur wegen eines Kratzers, muss auf jeden Fall desinfiziert werden. Für die zehn Meter vom Auto bis zur Supermarkt-Tür gehört dem Kind eine dicke Jacke angezogen. Essen muss in kleinstmögliche Einzelteilchen zerlegt werden. Und nach dem Baden gehören die Haare komplett trockengeföhnt.

Ich dagegen finde normal: Dass man einem Kind vieles durch Gewöhnung beibringen kann - zum Beispiel unterschiedliche Zubettbringer. Mattis bei offenem Fenster schlafen zu lassen. Dass er sich auch mal stoßen und weh tun muss, damit er Gefahrenquellen einschätzen lernt. Und dass es völlig ok ist, wenn er bisweilen ein paar unzerkaute Stückchen Käse oder Brot runterschluckt. Sein Magen wird schon damit umgehen können. Und was sagt unser Therapeut Peter? Dass es müßig ist, den anderen von der Richtigkeit seiner Sichtweise überzeugen zu wollen. Stattdessen sollte man so oft wie möglich Absprachen im Graubereich treffen. Seit zwei Monaten sind wir jetzt in Therapie, sitzen alle ein, zwei Wochen bei Peter auf der Ledercouch und diskutieren all den Kleinkram, der in einer Ehe mit Kind so anfällt. Meine zwei wichtigsten Erkenntnisse bisher: Aufhören darüber zu streiten, was normal ist. Und lernen, den ersten Impuls zu kontrollieren.

Gestern zum Beispiel: Es ist mittlerweile März, und Mattis lässt sich glücklicherweise wieder von Daniel ins Bett bringen - er schläft sogar deutlich schneller ein bei ihm! Ich bitte Daniel deshalb an einem Samstag, unseren Sohn eine Woche lang abends hinzulegen. Er soll sich dann Abend für Abend weiter weg vom Bett entfernen, bis er schließlich aus dem Zimmer verschwunden ist. Dann wird das Gleiche hoffentlich auch mit mir funktionieren.

Als ich am frühen Sonntagabend vom Sport nach Hause komme, sagt Daniel zufrieden: "So, und jetzt bist du dran für den Rest des Abends!" Als ich zurückgebe: "Aber du bringst ihn ins Bett, oder?" kommt sofort Protest: "Nein, nein, nein, ich hatte ihn den ganzen Tag, ich bin echt müde." Es stimmt: Daniel war vormittags mit dem Kleinen im Park, damit ich ausschlafen konnte, nachmittags hat er sich gekümmert, während ich beim Sport war. Aber erstens habe ich am Vormittag zuvor auf Mattis aufgepasst, so ist schließlich unsere Wochenend-Abmachung. Zweitens hatten wir doch gerade gestern verabredet, dass er jetzt eine Woche lang...? Und drittens: Habe ich nicht die letzten zwei Monate jeden Abend bis zu einer dreiviertel Stunde an Mattis' Bett gesessen? Und wie viele Tage und Nächte habe ich komplett allein mit ihm verbracht, weil Daniel auf Geschäftsreise war?

Aber ich erinnere mich an den Rat unseres Therapeuten: Wenn die Gefühle hochkochen, das Gespräch auf später vertagen. "Lass uns gleich noch mal darüber reden", sage ich also. Nachdem ich eine Weile demonstriert habe, dass ich jetzt Mattis-Beauftrage bin, gehe ich wieder zu Daniel: "Ist es ok für dich, ihn heute wieder ins Bett zu bringen?" - "Warum ist das so wichtig?" fragt Daniel. Am liebsten möchte ich laut rufen: Kann ich nicht wenigstens erwarten, dass du dich an Abmachungen hältst? Stattdessen sage ich: "Ich hoffe einfach, dass er nach einer Woche auch bei mir schneller einschläft. Dass er durch dich quasi trainiert wird. Ich kümmere mich um ihn, bis es Zubettgehzeit ist. Danach übernimmst du. Ist das ok?" Daniel zuckt die Schultern. "Meinetwegen", sagt er. Es klingt nicht nach Einverständnis, mehr nach unwilligem sich-Fügen. Aber ich bin mir sicher: Wäre ich meinem Impuls gefolgt, dann wäre der Abend im Eimer gewesen.

So wie ich müssen sich Politiker fühlen, die durch fragliche Deals Lösungen für schwierige Probleme finden: Der Weg fühlt sich nicht unbedingt gut an, aber immerhin gibt es ein befriedigendes Ergebnis. Ich merke mehr und mehr, dass die Therapie nicht dazu da ist, Daniel zu zeigen, was er alles falsch macht. Weil ich sehe: Er findet, ich mache genau so viele Sachen falsch. Manches werde ich wohl nie verstehen, nie normal finden, ich werde immer wieder fassungslos dastehen. Und doch müssen wir Wege finden, generell mit Meinungsverschiedenheiten klarzukommen, statt Details zu diskutieren. Das muss die Therapie irgendwie schaffen. Oder erwarte ich zu viel?

In sieben Folgen erzählt BRIGITTE-Autorin Maja Schwaab von ihrer Paartherapie. Im nächsten Teil: "Wie lerne ich, besser zuzuhören?"

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