Eine Frau, die kein Opfer sein will - obwohl sie jeden Tag verfolgt wird

Eine Frau, die kein Opfer sein will - obwohl sie jeden Tag verfolgt wird

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Mary Scherpe ist Mode-Bloggerin und lebt vom Internet. Bis ein Stalker sie im Netz verfolgt und diffamiert. Doch sie findet eine ungewöhnliche Lösung.

Viele Artikel über Stalking-Opfer haben furchterregende Bilder. Oftmals sind nur Schatten von verzweifelten Frauen zu erkennen, im Hintergrund eventuell das Profil eines bedrohlichen Mannes. Fotos, die symbolisieren sollen, wie ohnmächtig und wehrlos sich Stalking-Opfer fühlen.

Mary Scherpe ist auch ein Stalking-Opfer. Aber sie möchte nicht als "Opfer" bezeichnet werden, denn sie hat sich für einen anderen Weg entschieden, mit dieser Situation umzugehen.

Die Mode-Bloggerin betreibt die erfolgreiche Website Stil in Berlin. Sie lebt quasi vom Internet. Daher trifft es sie umso härter, als ein Stalker beginnt, sie dort zu verfolgen. Er eröffnet Instagram- und Twitter-Accounts unter ähnlichem Namen und lässt die Menschen glauben, Mary Scherpe hätte die Beleidigungen darauf veröffentlicht. Ein Rufmord im Internet. Dazu kommen wüste E-Mails, ständige SMS und Anrufe. Und Paketsendungen mit Produkten, die sie nie bestellt hat.

Mary Scherpe geht zur Polizei, sie meldet sich bei Social-Media-Plattformen, spricht mit Anwälten. Doch gegen den Stalker vorzugehen, ist ein mühsamer Prozess, bei dem sie sich bald ohnmächtig fühlt. Anstatt sich zurückzuziehen, wie es ihr viele raten, leistet sie nach einer Zeit anderen Widerstand. Sie dokumentiert alle Attacken des Stalkers auf einem Blog EigentlichjedenTag - den sie extra dafür einrichtet. Und der Stalker erhält auf einmal mehr Aufmerksamkeit, als ihm Recht ist. Anfangs schreibt er weiter SMS, ruft an und schickt Post. Doch es wird weniger. Vorbei ist es trotzdem nicht. Immer, wenn sie glaubt, dass er aufgehört hat, liegt wieder Post im Briefkasten.

Mary Scherpe hat inzwischen ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben.

Interview mit Mary Scherpe

BRIGITTE: Seit über einem Jahr werden Sie von einem Stalker verfolgt. Ganz ehrlich und spontan: Welche Frage, die Ihnen seitdem gestellt wurde, nervt Sie am meisten?

Mary Scherpe: Wahrscheinlich die: "Was glauben Sie, wie er auf das Buch reagiert?". Aber nicht, weil ich sie nicht nachvollziehen könnte, sondern weil ich mich selbst mittlerweile so weit davon entfernt habe, zu überlegen, was er jetzt über das, was ich mache, denkt. Es war für mich ganz wichtig, mich aus dieser Spirale heraus zu bewegen, nur darüber nachzudenken, was er als nächstes tut.

Abgesehen von der Dauerverfolgung, also dem Stalking selbst, - was hat Sie noch verletzt?

Das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Mit meinem Anliegen immer wieder gegen Wände zu laufen, sei es aus Unverständnis, sei es aus schierer Hilflosigkeit.

Sie haben vielfach mit Social-Media-Plattformen wie Instagram und Twitter sowie mit der Polizei und Anwälten Kontakt gehabt, um sich zu wehren. Wer Ihr Buch liest, spürt vor allem die Ohnmacht, weil Ihnen so wenig geholfen werden konnte. Wie konnten Sie mit diesem Gefühl umgehen?

Es hat mich immer wieder sehr zurückgeworfen in dem, wie ich selber über das Stalking gedacht habe. Jede Absage, jede Zurückweisung hat lange Zeit erstmal dazu geführt, dass ich mein Recht, mich zu beschweren, mein Recht, mich zu wehren, angezweifelt habe. Weil ich das als Herabsetzung der Schwere meines Problems begriffen habe. Ich musste für mich das Selbstbewusstsein finden, mein Problem vor anderen zu verteidigen, quasi für mein Leid einzustehen. Ich musste lernen, dass "stark sein" nicht "hart sein" heißt.

Mit Ihrem Blog EigentlichjedenTag haben Sie sich eine Stimme gegeben und alles dokumentiert. Was hat dieser Schritt bei Ihnen verändert?

Allein schon die Idee hat mir geholfen, weil ich gespürt habe, dass es ein Schritt aus der Hilflosigkeit war. Denn so konnte ich endlich aktiv werden und hatte das Gefühl, meine Lage wieder besser kontrollieren zu können. Ich musste das nicht mehr allein ertragen, sondern konnte zwischen mich und den Stalker diese neue Wand schieben. Ich hatte mit dem Blog ein Ventil, eine Möglichkeit es von mir abzuwenden. Das hat mir sofort mehr Freiheit im Denken und im Fühlen verschafft.

Mit einer Online-Petition wollen Sie erreichen, dass Stalking vom Erfolgsdelikt zum Eignungsdelikt geändert wird. Können Sie das erklären?

Im Moment sagt das Gesetz von 2007, dass Nachstellung erst dann gegeben ist, wenn bei dem Opfer "schwerwiegende Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung" erkennbar sind. Ohne deren Nachweis ist es sehr schwer, Nachstellung vor Gericht zu bringen. Diese Formulierung ist natürlich schwammig. Nach verschiedenen Urteilen hat es sich heute etabliert, unter dieser Beeinträchtigung einen Wohnungswechsel, einen Arbeitsplatzwechsel oder -verlust und die Angst, das Haus zu verlassen, zu verstehen. All dies muss vom Opfer glaubwürdig vorgebracht und nachgewiesen werden, ansonsten kann man mit einer Anzeige kaum Erfolg haben. Das heißt Stalking ist im Moment ein "Erfolgsdelikt", es muss ein bestimmter "Erfolg" der Tat gegeben sein, damit sie verfolgbar wird. Das ist ein massives Problem in der Rechtsprechung. Es legt die Verantwortung in die Hände der Opfer, anstatt die Taten des Stalkers zu bewerten. Wenn man das nicht kann (wie ich), hat man nur wenig Chancen. Die Änderung zu einem "Eignungsdelikt", bei dem es darum geht, dass die Taten "lediglich" geeignet sein müssen, um die Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen, wird seit Jahren gefordert. Die Petition soll diese Forderung unterstützen.

Sie möchten die Petition unterstützen. Dann tragen Sie sich ein.

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