Wer den Partner kennt, verkennt ihn

Wer den Partner kennt, verkennt ihn

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In einer längeren Beziehung glauben wir zu wissen, wie unser Partner tickt. Neue Informationen nehmen wir nicht mehr auf. Ein großer Fehler.

Foto: Matthias Ritzmann/Corbis

Foto: Matthias Ritzmann/Corbis

Wir glauben, unseren Liebsten gut zu kennen

Die Kinder spielen im Wasser, als große Hunde plötzlich um sie herumspringen. Ulrich, der Vater, spielt ungerührt weiter mit den Wellen. Sabine, die Mutter, beginnt währenddessen eine lautstarke Diskussion mit der Hundehalterin. Dann geht die Sonne langsam unter, die Kinder sind müde, und die Eltern streiten sich die ganze Rückfahrt darüber, wer von beiden sich falsch verhalten hat. Was war geschehen?

Wir nehmen die Welt nie objektiv wahr. Wie wir sie erleben, ist stets durch unsere persönlichen Erfahrungen gefärbt.

Der andere ist deshalb nie der andere, sondern immer unser Bild vom anderen. In langjährigen Liebesbeziehungen ist das ein großes Problem. Denn wir glauben, dass wir unseren Lebensgefährten mit den Jahren immer besser kennen. Doch je fester wir davon überzeugt sind, um so weniger wahr ist es.

Wir machen uns nur ein Bild von ihm

Unser Gehirn vereinfacht. Wir schaffen Kategorien, mit deren Hilfe wir unser Erleben ordnen. Wir suchen nach Gewissheiten, auf die wir uns verlassen können. Und natürlich machen wir das auch mit unserem Partner. Niemand beobachten wir so intensiv. Über keinen anderen machen wir uns so viele Gedanken. Seine Gewohnheiten fallen uns schnell auf, und bald glauben wir, genau zu wissen, wer er ist. Wir sind fest davon überzeugt, seine Persönlichkeit erkannt zu haben.

Unser Partner hat dann kaum noch eine Chance, anders wahrgenommen zu werden: Neue Informationen nehmen wir nicht mehr auf. Alles, was er tut, interpretieren wir passend zu unserer trügerischen Annahme, genau zu wissen, wie er tickt. Das taten auch Sabine und Ulrich.

Sabine glaubte zu sehen, dass Ulrich die Kinder nicht beschützte. Schließlich fühlte auch sie sich oft nicht von ihm beschützt. So, wie er die Kinder allein ließ, genauso egozentrisch und unaufmerksam empfand sie ihn oft. Deshalb wurde sie selbst aktiv und sprach die Hundebesitzerin an, die aber äußerst aggressiv und unwirsch reagierte. Daraufhin entstand ein Streit, bei dem Sabine nicht einmal mehr überrascht war, dass Ulrich ihr nicht zu Hilfe eilte.

Wir dürfen unseren Partner nicht hinter unseren Vorstellungen verschwinden lassen

Foto: Ilona Habben

Ulrich dagegen hatte die Ängstlichkeit der Kinder beim Baden sehr wohl bemerkt. Er wollte sie aber bewusst erleben lassen, dass die Hunde nicht gefährlich waren. Als er dann seine Frau im aufgeregten Disput mit der Hundehalterin sah, war er sich sicher, dass Sabine die Frau gerade genau so heftig angefaucht hatte wie sie das auch immer bei ihm tat. So kannte er sie schließlich: aggressiv und streitlustig. Dass er ihr nicht zu Hilfe eilte, war auch ein wenig Rache für all das, was er eingesteckt hatte.

Die Karte ist nicht die Landschaft. Das Bild, das wir von unserer Lebensgefährtin haben, ist nicht die Lebensgefährtin selbst. Seit einigen Jahren ist Meditation angesagt, das Training der Achtsamkeit. Wenn wir unsere Partnerschaft ernst nehmen, ist sie ein ständiges Achtsamkeitstraining darin, unseren Liebespartner immer wieder neu zu erleben und ihn nicht hinter unseren Vorstellungen verschwinden zu lassen. Wenn wir glauben, wir kennen unseren Partner, dann verkennen wir ihn nur allzu leicht.

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