Fremdgehen im Kopf: Ab wann wird es gefährlich?

Fremdgehen im Kopf: Ab wann wird es gefährlich?

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Tatsächlich fremdgehen möchten wir nicht, aber der andere Mann geht uns nicht aus dem Kopf. Paartherapeutin Sandra Konrad hilft bei der Entscheidung.

Foto: Shutterstock / solominviktor

Dr. Sandra Konrad ist Diplom-Psychologin und arbeitet seit 2001 als systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin in Hamburg. Außerdem schreibt sie Bücher. Ihr neuester Ratgeber: Liebe machen- Wie Beziehungen wirklich gelingen, Piper Verlag, 352 Seiten, 19,99 Euro. Sandra Konrad gibt es auch auf Facebook.

BRIGITTE: Ganz ehrlich, träumt nicht jeder Mensch, der in einer Beziehung ist, ab und zu mal von jemand anderem?

Sandra Konrad: Das hängt von der Phase ab, in der die Beziehung steckt. Wenn man frisch verliebt ist, träumen die wenigsten von jemand anderem. Dann ist diese Person die tollste auf der Welt. Irgendwann kommt aber die Zeit der "Ent-Täuschung". Wenn aus der Verliebtheit eine Liebesbeziehung wird, haben wir verstanden, dass der Partner auch Seiten hat, die wir weniger gut finden. Ich glaube, das Problem ist nicht, dass Menschen von anderen träumen, sondern sie träumen sich den Partner ein bisschen anders. Sie stört diese und jene Ecke, was dazu führen kann, dass ein anderer in Gedanken dazu geholt wird, der diese Macken nicht hat.

Gehen wir mal von diesem Fall aus: Ist dann in der Beziehung schon etwas kaputtgegangen?

Die Idee, dass uns ein Mensch alles gibt, ist zwar romantisch, aber falsch. Zur Liebe gehört auch der Mangel, die Sehnsucht und immer mal wieder die Enttäuschung. Deshalb kommt es darauf an, wie wir damit umgehen. Wenn wir uns entscheiden, an schwierigen Punkten immer zum Nächsten zu gehen, verhindern wir eine Weiterentwicklung von uns selbst. Ideal wäre es, mit dem Partner zu sprechen und zu sagen, dass man etwas vermisst. Das, was uns am anderen anzieht, ist das, was uns in der Beziehung fehlt.

Aber ganz oft wird ja nicht geredet ...

Ja, und das ist nicht sinnvoll. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, mit der Beziehung glücklich und zufrieden zu sein, wenn die Leidenschaft und die Romantik sich ein Stück weit verflüchtigt haben. Sie suchen die Spannung im Außen, sie idealisieren den anderen. Vor mir sitzen dann Menschen, die mich fragen, was sie machen sollen. Sie schwanken zwischen den Polen Sicherheit und Spannung.

Und: Was raten Sie?

Ich rate gar nichts. Ich begleite Menschen in der Entscheidungsfindung.

Wir brauchen beides: Leidenschaft und Sicherheit

Okay, wie können Sie in dieser Phase helfen?

Das Problem für den Einzelnen ist, dass diese Pole ganz weit voneinander entfernt zu liegen scheinen. Bei Frauen steht der neue Mann für Lebendigkeit und Spannung und der alte Mann für Sicherheit und liebevolle Bindung. Wir brauchen aber beides im Leben und im besten Fall integrieren wir sie. Das geht aber nur, wenn wir selbst die Verantwortung übernehmen. Indem wir überprüfen, was wir selbst tun können, damit wir zufriedener sind. Und natürlich miteinander reden. Was brauche ich von meinem Partner, damit es wieder lebendiger wird? Müssen wir mal wieder etwas zusammen unternehmen, ein neues Hobby finden, ohne die Kinder wegfahren oder ein Hotelzimmer in der eigenen Stadt nehmen? Das hört sich banal an, aber das ist genau das, was wir mit dem anderen, der Affäre, machen würden.

Gibt es nicht auch den Fall, bei dem der Mann im Kopf der bessere Partner wäre? Und bei dem alten bleiben wir nur aus Gewohnheit oder Angst?

Es kommt darauf an, wie die Beziehung aussieht. Stellen wir uns beispielsweise vor, der Partner wäre desinteressiert und lieblos. Er würde Dinge tun, die für uns schädlich sind. Er würde uns entwerten oder sich komplett zurückziehen. Dann sollte man sich fragen: Warum bleibe ich mit diesem Mann zusammen? Natürlich kann ein neuer Partner die Entscheidung, sich aus einer lieblosen Beziehung zu lösen, beschleunigen oder erleichtern. Die Entscheidung "gehen oder bleiben" sollten wir allerdings erst einmal für uns treffen, denn der andere steht für unsere Sehnsucht, für unseren Mangel und wir wissen nicht, ob die neue Beziehung hält, was sie verspricht. Ich rege in so einer Phase an, sich ernsthaft zu fragen: Was brauche ich in einer Beziehung, um glücklich zu sein? War ich jemals zufrieden in meiner jetzigen Beziehung? Habe ich selbst alles dafür getan? Hat mein Partner alles dafür getan? Und: Gibt es noch Chancen für uns?

Es fehlt der liebevolle Kontakt in der Beziehung

Warum fällt uns es so schwer, mit unserem Partner zu reden?

Viele Paare reden miteinander. Aber nicht immer so, dass der eine zuhören kann oder der andere gehört wird. Im Alltag verpassen wir die Momente, uns zu öffnen und liebevoll miteinander in Kontakt zu kommen. Dann hat man vielleicht noch ab und zu Sex und redet beim Essen drei Worte miteinander - wenn überhaupt. Wenn man sich über einen längeren Zeitraum nicht gesehen fühlt, sammeln sich Enttäuschungen an, die zur Folge haben, dass der Ton rauer wird oder man sich zurückzieht und voneinander entfernt.

Sollte man dem Partner von dem Mann im Kopf erzählen?

Es kommt auf die Kommunikationskultur in der Beziehung an, wie offen man grundsätzlich miteinander redet. Es ist wie beim Sex, es gibt Menschen, die können gut über ihre Wünsche reden und andere schämen sich. Einige haben das Gefühl, dass ihre Bedürfnisse wertvoll sind und dass sie diese sagen dürfen und andere erlauben es sich nicht.

Aber es geht doch auch um Eifersucht und Verlustängste ...

Ja, sicher. Wenn mein Partner sehr eifersüchtig ist, wäre es unklug zu sagen, dass man einen Kollegen toll findet. Dann wäre der Partner so gekränkt und alarmiert, dass er nicht mehr zuhören könnte. In diesem Fall wäre es geschickter zu sagen: Weißt du, mir fehlt etwas in unserer Beziehung, ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsam etwas ändern oder dass du diese oder jene Sache machst. Es ist immer gut, die Dinge in Wunschform zu benennen und bei den eigenen Gefühlen zu bleiben.

Der "Notfallschwarm"

Die berühmten Ich-Botschaften ...

Ja, aber da gibt es Unterschiede. "Ich finde, dass du ein Arschloch bist" ist auf den ersten Blick auch eine Ich-Botschaft. Aber was sind die Gefühle? Bin ich wütend oder enttäuscht? Worüber genau? Oft verallgemeinern wir unsere Vorwürfe mit "nie" oder "immer", so dass der andere sich sofort rechtfertigen muss, um sich nicht vernichtet zu fühlen. Emotionale Gespräche sind nicht immer einfach, aber sie tun gut. Sie führen dazu, dass wir uns verstanden fühlen und wieder mehr Nähe entstehen kann.

Träumt man vielleicht auch von einem anderen, um jemanden auf der Reservebank zu haben, falls die Beziehung scheitern sollte?

Ich nenne das den "Notfallschwarm". Das wird klassischerweise gern mit dem Ex-Freund gemacht. Manchmal ist die Vorstellung eines Traummannes hilfreich, um schwierige Phasen in einer Beziehung zu überstehen. Oder um sich zu beruhigen, dass es auch andere tolle Männer gibt, sollte es zur Trennung kommen. Dramatisch wird es nur, wenn man zu sehr in die Fantasiewelt abgleitet und nicht sieht, dass der andere auch Ecken und Kanten hat. Alles, was nur im Kopf bleibt, kann man eben nicht überprüfen.

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